Das Parkhotel Bellevue in Adelboden (Berner Oberland) gilt als „Schweizer Ikone der klassischen Moderne“. Damit nicht genug: Seit drei Generationen wird das Haus von Frauen der Inhaberfamilie geführt. Jetzt gibt die ehemalige Journalistin Franziska Richard (56) den Ton an. Ein Hotel Inside-Interview über Positionierung und Adelboden als sog. B-Destination.
Franziska Richard hat ihren Job als Food-Journalistin für das Hotel ihrer Familie aufgegeben. „Das Haus mit der nüchtern-weissen Fassade liegt in einem der schönsten Skigebiete des Landes. Doch Schnee lässt die 56-jährige Direktorin kalt“, wie der Reisejournalist und PR-Mann Tomas Niederberghaus schreibt.
Hotel Inside-Journalist Hans R. Amrein sprach mit Franziska Richard über die aktuelle Positionierung des Hauses und Adelboden als sogenannte B- Destination.
Franziska Richard, wie würden Sie die aktuelle Positionierung des Parkhotels Bellevue umschreiben? Was macht Ihr Haus so einzigartig?
Es ist ein Hotel für Geniesser, ohne Bling-Bling, aber für gehobene Ansprüche. Kulinarik, Spa, Design, Ruhe, Raum – das können wir bieten und finden dafür einen Markt.
Alles gute Argumente, aber warum sollte ein Gast ausgerechnet bei Ihnen absteigen? Was bieten Sie, was andere Hotels in Adelboden nicht bieten (können)?
Eine sehr ruhige Lage, sehr viel Raum, ein grosser Garten mit alten, knorrigen Ahornen, eine überdurchschnittlich gute Küche mit einzigartigem Weinkeller, 1930er-Jahr-Architektur mit Vintage-Design, eine angenehme, familiäre und entspannte Atmosphäre. Man ist bei uns wirkliche keine Nummer!
Sie gelten als eine Art „Single Hotel“, wo viele Alleinreisende übernachten. Auch Leute, die sich eine Auszeit von der Familie oder Partnerschaft gönnen. Wie relevant ist dieses Gästesegment für Ihr Hotel?
Aufgepasst! Wir verstehen uns nicht als Single-Hotel. Unser Hauptkundensegment sind Paare. Gleichzeitig sind die alleinreisenden Gäste – nicht gleichzusetzen mit alleinstehend und alleinlebend – für uns sehr wichtig. In der Regel sind Alleinreisende sehr unabhängig, können also mühelos und spontan verreisen, sie sind mehrheitlich wiederkehrend. Tendenziell sind sie aufgeschlossener gegenüber Aktivitäten als andere Gäste, sie lieben Spa, Design und sind bei uns einfach sehr zufrieden. Vielleicht auch, weil wir ihnen im Restaurant schöne Tische zuteilen.
Nochmals: Wer ist der typische Bellevue-Gast?
Der beruflich sehr engagierte Gast, mehrheitlich aus dem urbanen Raum. Er sehnt sich nach Ruhe und Service, weil ihm beides im Alltag zusehends abhandenkommt. Natürlich gehören auch junge Leute zu unserer Kundschaft und die Babyboomer, die nun in Pension gehen.
Seit mehr als zwei Jahren herrscht auch in der Schweiz ein Reiseboom, der zu Rekordzahlen in der Hotellerie und im Tourismus ganz allgemein führt. Wenn Sie aus der Bellevue-Optik auf die letzten zwei Jahre zurückblicken, wie lautet Ihr Fazit?
Vorerst eine Bemerkung: In diesen Rekordzahlen, die Sie erwähnen, sind die Städte miteingerechnet. Den Alpenraum und die Städte muss man etwas auseinanderhalten. Der Alpenraum konnte während der Pandemie extreme Rekordzahlen verbuchen, während die Städte in der Krise steckten. Logischerweise folgte in den Bergen nach Corona ein Rückgang. Wir im Bellevue haben diese Bewegungen auch so erfahren. Im Vergleich mit den Jahren vor Corona konnten wir Auslastung und Wertschöpfung in den letzten zwei Jahren steigern.
Vor allem in der Ferienhotellerie geht es darum, dem Gast einzigartige Erlebnisse zu bieten. Derzeit sprechen alle in der Branche von Erlebnissen, Emotionen und Individualität. Was bieten Sie dem Gast in dieser Hinsicht konkret?
Das einzigartige Erlebnis bietet meiner Meinung nach die Natur. Wir schaffen eigentlich «nur» den Rahmen. Klar, da geben wir uns Mühe. Wir wollen dem Gast einen Ort des Wohlbefindens, insgesamt Wertigkeit bieten. Der Erfolg unseres Hotels basiert sicher auf dem relativ schlanken Konzept. Motto: Nichts anbieten, was es nicht braucht. Aber das, was es braucht, richtig gut. Beispielsweise in der Küche. In welchem anderen Hotel erhalten Sie in der Halbpension eine 15 Punkte-Gault & Millau-Küche und so fantastische Burgunderweine? Wir setzen bewusst da und dort auf alte Werte – und machen sehr gute Erfahrungen damit.
Sie haben mir vorhin gesagt, dass Sie Ihren Gästen vertrauen. Was aber heisst das im Alltag?
Wir verlangen nie eine Kreditkartennummer; nicht wenige Gäste bezahlen ihre Hotelrechnung erst zu Hause. Dieses Vertrauen ist ein starkes Statement – wir machen damit nur sehr selten negative Erfahrungen.
Wie hoch ist eigentlich der Anteil Stammgäste? Und warum kommen diese immer wieder ins Bellevue?
56 Prozent sind Stammgäste. Ist der Anteil extrem hoch, muss man sich als Hoteldirektorin Gedanken machen. Vielleicht ist dann das Marketing (für Neukunden) zu schwach… Ein Magnet bei uns ist sicher die Küche. Wahrscheinlich stimmt auch das Preis- Leistungsverhältnis.
Das Parkhotel Bellevue ist im Besitz der Familie Richard. Sie führen das Haus in der dritten Generation. Wie sind zu diesem „Job“ gekommen, denn ursprünglich waren Sie Journalistin?
Ich habe zwar eine journalistische Ausbildung, doch meine Grundausbildung war in der Hotellerie. Beide Berufe habe ich erlernt und beide faszinieren mich. Ich konnte sie immer verbinden und habe gleichzeitig stets etwas abgewechselt. Wir hatten eine Vakanz und ich fand: Ich mach’s!
Hat die Familie möglicherweise die Absicht, das Hotel eines Tages zu verkaufen? Oder war das in den letzten Jahren schon mal ein Thema?
Natürlich sind auch wir mit einer Nachfolgelösung beschäftigt. In diesem Zusammenhang wäre es möglich, das Aktionariat leicht zu verändern. Der Betrieb soll jedoch in der Familie bleiben.
Sie sind Mitglied bei der renommierten Vereinigung Relais & Châteaux. Was bringt das?
Zugang zu einer «Grossfamilie». Als Einzelbetrieb sucht man den Anschluss. Vernetzung, Austausch und neues Wissen sind wichtig. Es ging uns auch um Positionierung, um Qualitätssicherung, natürlich auch um neue, internationalere Märkte, die bereits merklich spürbar sind. Relais & Châteaux unterstützt uns auch tatkräftig bei der Mitarbeiterrekrutierung. Sie vermitteln uns engagierte und kompetente Berufsleute. Kurz: Wir sind sehr glücklich, dass wir Mitglied bei Relais & Châteaux sind.
Was reizt Sie persönlich, ein Hotel in Adelboden zu führen?
Der freie Journalismus war ein einsames Geschäft. Das wurde mir irgendeinmal auch zu einseitig. Die Aufgabe als Hotelière ist schon wesentlich lebendiger, für mich auch komplexer. Das Schöne ist, dass man – weit mehr als im Journalismus – sät und dann auch erntet. Ja, und das Bellevue ist unser Familienbetrieb, das ist schon eine Herzenssache.
Würden Sie ein anderes Hotel führen?
Nein.
Adelboden ist nicht St. Moritz, Gstaad oder Zermatt, also kein internationaler Tourismus-Hotspot. Worin sehen Sie die Chance für so eine B- oder gar C-Destination?
Warten Sie es ab! Heute zählen andere Werte. Wir haben in Adelboden – neben einem intakten Ortsbild – auch ein interessantes, florierendes Gewerbe. Selbst in grossen Tourismusorten, also auch in sogenannten Hotspots, gibt es keine Metzgerei mehr, keinen Käseladen und keine Bäckerei. In Adelboden ist alles da, und dies in bester Qualität. Und ganz zentral: Wir haben keinen Massen- oder Overtourismus. Das zählt heute mehr als luxuriöse Uhren- und Modeboutiquen. All dies bleibt nicht unbemerkt, auch von internationalen Gästen nicht.
Man sagt, die Wintersaison sei in Adelboden wichtiger als der Sommer. Trifft diese Aussage nach wie vor zu? Anders gefragt: Wie sieht die touristische Wertschöpfung im Sommer aus?
Hohe Preise mal hohes Volumen ergibt eine hohe Wertschöpfung. Noch ist bei uns die Wertschöpfung in den Sommermonaten tiefer als in den Wintermonaten, aber bereits in wenigen Jahren dürfte das anders aussehen. Der Sommer wird auch deshalb immer stärker, weil er mit der Klimaerwärmung auch immer länger wird.
Experten im Tourismus gehen davon aus, dass der Bergsommer so etwas wie eine Renaissance erleben wird. Grund: Klimawandel, Hitze im Sommer, Massentourismus in Städten und am Meer usw. Sind Sie darauf vorbereitet im Parkhotel Bellevue?
Ich sehe das auch so. Uns sagen die hitzeflüchtigen Gäste aus den Städten: «Hitze plus Dichtestress plus schlechte Luft – wir halten das nicht mehr aus.» Sie flüchten aus den Städten, gewisse stornieren sogar ihre Strandferien im Süden und buchen dann zwei Wochen Bellevue Adelboden. Ja, wir sind vorbereitet! Der Trend, gerade wieder zu langen Aufenthalten, freut uns enorm. Betrieblich ist das viel einfacher, und umweltfreundlicher ist es natürlich auch.
Sie haben im Bereich Spa/Wellness neue Projekte, zum Beispiel Angebote wie „Diet & Detox“, „Mental Health“ und „Power & Sports“. Was versprechen Sie sich von solchen Angeboten?
Sinnhaftigkeit und eine Nachfrage. Weil das Leben nicht mehr so einfach ist, weil man besser zu sich schauen will und muss, weil man sich Auszeiten nehmen will und muss – und dabei betreut sein will. Dafür braucht es Abstand und Ruhe. Ich denke, dass der Alpenraum dafür prädestiniert ist – und auch unser Hotel ideale Voraussetzungen bietet. Wir haben sehr fundiert ausgebildete Therapeutinnen, mit denen wir diese Konzepte ausgearbeitet haben. Bei diesen Angeboten handelt es sich um 7-Tages-Pakete, die unabhängig von Klima und Saison gebucht werden können. Also ist das schon eine Reaktion auf die Klimaveränderung. Sie verändert den Tourismus fundamental. Wir sehen darin auch grosse Chancen. Wichtig ist einfach, das Ganze nicht zu verschlafen.
Gutes Schlusswort, vielen Dank für das Interview!
Hintergrund zum Parkhotel Bellevue
Das Bellevue Parkhotel gilt als eine Ikone. Denn nach dem Ersten Weltkrieg verhängte der Staat einen Baustopp für Hotels, um das darbende Gastgewerbe zu schützen. Das Bellevue erhielt nur deshalb eine Genehmigung, weil sein ursprünglicher Holzbau kurz zuvor komplett niedergebrannt war. Und so skeptisch,
ja, gar ablehnend die Adelbodner dem modernen weißen Steinbau aus dem Jahre 1931 gegenüber waren, so sehr ziert er heute das Dach des Dorfes und zieht Architekturliebhaber und Freunde des klassischen Designs aus der ganzen Welt an.
In den vergangenen zehn Jahren wurde das Hotel von den renommierten Basler Architekten Buchner Bründler komplett renoviert. Zunächst befreiten sie das Erdgeschoss von den kleinen, in den 70er-Jahren eingebauten Fenstern. Durch Panorama-Glas fällt das Licht ins Restaurant „Belle Vue“ und in die dahinter liegende »Bar + Lounge«. Die Holzdecke spielt mit unterschiedlichen Höhen, Eichendielen zieren den Boden. Eine Preziose ist die Bar aus brüniertem Messing, Glas und Mooreiche, gegenüber knistert das Feuer in einem modernen Kamin. Mitcentury-Möbel korrespondieren mit der Geschichte des Hauses.
Überraschend sind auch die renovierten Zimmer und Suiten. Helles Eichenholz und Möbelklassiker von Hans J. Wegner zieren die Räume der Kategorie »Nature«. Sonnendurchflutet sind die »Classic-Zimmer« zur Südseite. Kelimteppiche auf Eichenparkett und Designklassiker nehmen ihnen den Charakter eines typischen Hotelzimmers. Etwa die Tische und Stühle von Carlo Molino (1905-1973), Charlotte Perriand (1903-1999, Freundin von Le Corbusier) und Fritz Hansen (1847-1902) oder die Leuchten von Seppo Koho.
Frauen-Power im Bellevue
Seit drei Generationen wird das Bellevue Parkhotel von Frauen der Inhaberfamilie geführt. Die erste Gastgeberin war Elisabeth Richard (1901-1970), die das Haus nach dem Tod ihres Mannes als 34-jährige Witwe mit beeindruckender Hartnäckigkeit führte. Gute Hotellerie
bedeutete für sie: Komfort, Service und eine besondere Küche. Pomp und Glamour waren ihr fremd – was sich bis heute fortgesetzt hat.
Auf sie folgte Julia Richard (1939-2010). Sie war großzügig, herzlich und hatte ein aufrichtiges Interesse an jedem Gast. „Ich wage zu sagen, dass sie eine Jahrhundert-Hotelière war. Jemand konnte zur Tür reinkommen und sie spürte sofort, was er oder sie gerade braucht oder sich wünscht“, so Franziska Richard. Und die hängte 2019 ihren Beruf als Journalistinan den Nagel und wurde die dritte Frau, die
das Hotel in den Bergen auf „Trab“ hält. Von ihrer Mutter weiss sie, worauf es ankommt, damit ein Gast zufrieden ist: „Dass wir ihm mit kleinen Gesten und Dienstleistungen zeigen, dass er uns wichtig ist.“
Franziska Richard hält deshalb auch eine Familientradition aufrecht: Als Direktorin ist sie abends für ein paar Stunden im Restaurant-Service. Ob es einen Unterschied zwischen einer weiblichen oder einer
männlichen Führungskraft gibt? Franziska Richard hält kurz inne, überlegt und sagt: „Das kann man nicht grundsätzlich sagen. Nicht selten stelle ich jedoch fest, dass Frauen stärker vom Du als vom Ich ausgehen. Dadurch spürt man zuweilen eine höhere Gastfreundschaft.“
Die besten Ideen für ihre Arbeit kommen Franziska Richard, wenn sie früh morgens im noch leeren Speisesaal sitzt, vor sich eine Tasse Kaffee und draußen der anbrechende Tag.
Im Burgunder-Paradies
Die Weinkarte im Bellevue Parkhotel zählt über 800 Positionen. Mit großer Leidenschaft werden vor allem die Weine des Burgunds ausgewählt. Franziska Richard sagt: Die Weine des Burgunds zählen zu den komplexesten, vielfältigsten und spannendsten der Welt. Dank guter Kontakte gelinge es dem Hotel, dem Gast zu einem optimalen Preis-Leistungs-Verhältnis die besten Weine von Gütern mit klangvollen Namen anbieten zu können – von Romanée Conti, Anne Leflaive, François Raveneau, Meo-Camuzet, Clos des Lambrays, Armand Rousseau oder Domaine Dujac beispielsweise.
Aber auch die besten Schweizer Weingüter sind im Keller des Bellevues vertreten. Von der Domaine Henri Cruchon über Daniel & Mara Gantenbein bis zu Thomas Studach oder Christian Zündel, um nur einige wenige zu nennen. „Ob Schweiz, Burgund oder Bordeaux, jung oder gereift, Klassiker oder Rarität – diese Karte erfüllt jeden Wunsch zum äusserst fairen Preis“, schrieb der Zürcher Gourmetkritiker und Weinexperte Benny Epstein.
info@bellevue-parkhotel.ch
www.bellevue-parkhotel.ch
Bildlegende Hauptfoto: Franziska Richard, Gastgeberin und Mitinhaberin.