Das Leuchtturmprojekt der Münchner Hotelgruppe Living Hotels ging in diesem Jahr in die zweite Runde. Tophotel-Volontärin Hanna Ulsenheimer hat das junge Team einen Tag lang begleitet und dabei erlebt: Ein Hotel komplett selbst zu leiten ist für die Azubis Herausforderung und Chance zugleich.
Berlin, 5:30 Uhr, ein Donnerstagmorgen im November. Im Frühstücksraum im „Azubi-Hotel“ geht das Licht an. Eleni Klinken (19), Julia Blasche (18) und Duc Tam Nguyen (33) sind die ersten, die hier täglich auf der Matte stehen. Während draußen die Stadt erwacht, ist es ihr Job, alles vorzubereiten, damit die Hotelgäste zwischen sechs und zehn Uhr gemütlich in den Tag starten können. Dafür müssen die Tische eingedeckt und das Buffet gerichtet werden. Alles muss rechtzeitig fertig sein. Eine Aufgabe, die sechs Wochen lang in ihrer Hand lag – und damit in Azubi-Hand.
Die drei gehörten zur Azubi-Mannschaft, die es in diesem Jahr ins Living Hotel Berlin Mitte geschafft hatte, dem sogenannten „Azubi-Hotel“ der Living Hotels. 2023 als Pilotprojekt gestartet, fand es in diesem Jahr von Mitte Oktober bis Ende November zum zweiten Mal statt. 13 Auszubildende aus deutschlandweit acht Häusern der Münchner Hotelgruppe übernahmen dabei die alleinige Verantwortung für das 58-Zimmer-Hotel. Eingeteilt in drei Teams waren sie für Frühstück, Rezeption und Housekeeping zuständig.
Das Projekt der Living Hotels hat sich zum Ziel gesetzt, den Auszubildenden eine hochwertige Ausbildungserfahrung außerhalb ihrer eigenen Betriebe zu ermöglichen. Es soll ihnen einen Vorgeschmack auf ihre Zukunft vermitteln und wie es sich anfühlt, wenn sie als Fachkraft ausgelernt haben. Im Azubi-Hotel haben sie die Möglichkeit, sich selbst auszuprobieren. Sie lernen Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Und sie werden ermutigt, selbst einmal eine Führungsposition anzustreben.
Anders als im Vorjahr war die Teambesetzung, was Altersstruktur, Lebenslinien und Herkunft anging, diesmal breiter aufgestellt. Die Altersspanne reichte von 18 bis 35 Jahre. Vier Azubis stammten aus Deutschland, drei aus Vietnam, zwei aus Kolumbien und je einer aus Madagaskar, dem Iran und Angola. Die meisten waren erst vor ein bis zwei Jahren nach Deutschland gekommen, teils mit abgeschlossenem Studium, Berufserfahrung und Deutschkenntnissen. Sie kamen, weil sie sich hierzulande größere Chancen für ihr künftiges Leben versprechen als es in ihren eigenen Ländern der Fall wäre. Diese Mischung stimmte David Ramos (32), der im Housekeeping-Team tätig war, im Vorfeld zugleich etwas unruhig: „Ich hatte Sorge, dass wir alle zu unterschiedlich sein könnten“, sagte er.
Die Teilnehmer 2024
13 Auszubildende waren in diesem Jahr beim Azubi-Hotel der Living Hotels dabei. Sie stammten aus Deutschland (4), Vietnam (3), Kolumbien (2), Madagaskar (1), Iran (1) und Angola (1).
- Frühstücksteam: Eleni Klinken (19), Julia Blasche (18), Duc Tam Nguyen (33), Nicole Moscoso Ruiz (26), Gelson Fernandes (20)
- Empfangsteam: Kevin Lang (20), Hamedeh Sobhani (35), Ny Aina Andria-Antenaina (25), Benjamin Singer (21), Jakob Matteo Tönges (18)
- Housekeeping: Thi Ngoc Thuy Nguyen (31), David Ramos (32), Nguyen Thi Phuong (27)
Eigene Entscheidungen, neue Ideen
Zurück beim Frühstück: Punkt 6 Uhr sind Eleni Klinken, zugleich die Azubi-Abteilungsleiterin, und ihre Kollegen Julia Blasche und Duc Tam Nguyen mit den Vorbereitungen fertig. Die Tische sind eingedeckt, Käse, Joghurt, Gemüse- und Obstschnitze ansprechend arrangiert. Der 19-Jährigen gefällt es, eigene Entscheidungen treffen zu können: „Wir haben freie Hand, können das Buffet so hinstellen wie wir es wollen und auch generell Dinge machen, die wir wollen.“ Mit kurzem Blick durch den Frühstücksraum sagt sie: „Heute ist es entspannt. Wir haben momentan nur 14 Gäste im Hotel, da müssen wir nicht so viel auffüllen, sondern können parallel schon mit den Vorbereitungen für morgen beginnen.“
Auch bleibt dem Team meist noch Zeit, selbst kreativ zu werden: Ob Bircher Müsli, Bananenkekse oder Bananenbrot – für die Hotelgäste lässt sich das Frühstückstrio immer wieder etwas Neues einfallen. An diesem Donnerstag haben sie selbstgemachte Vanillekipferl im Angebot. Das kommt an: „Manche unserer selbstgemachten Sachen sind ganz schnell aus“, erzählt Julia Blasche. „Sobald wir das zweite Mal auffüllen müssen, wissen wir, dass die Gäste unser Extra-Angebot mögen.“
Hoteldirektor Marcus Kaiser, der die Azubis in den sechs Wochen begleitete, ist mehr als überzeugt vom Projekt: „Wir wollen den Azubis zeigen, dass Ausbildung Spaß macht. Sie sollen selbstbewusster, entscheidungskräftiger und gestärkter aus dem Azubi-Hotel herausgehen und dabei schon einmal gelernt haben, mit Verantwortung auf Führungsebene umzugehen.“
Schichtwechsel & Dienstpläne
Hotellobby, 6:30 Uhr. Das nächste Azubi-Team steht pünktlich parat – an der Hotelrezeption ist Schichtwechsel angesagt und Kevin Lang (20), Hamedeh Sobhani (35) und Ny Aina Andria-Antenaina (25) starten ihren Arbeitstag. Die Nachtschicht hat ihnen alle wichtigen Informationen im Hotelmanagementsystem hinterlegt, sodass die Drei genau wissen, was wann und von wem erledigt wurde. „Ob Spätanreise, Zimmerwechsel oder Taxivorbestellung – das halten wir alles fest“, erläutert Hamedeh Sobhani. Die 35-Jährige kümmert sich auch um die Rechnungen: „Ich prüfe zuerst die Abreiseliste: Wer muss was bezahlen, ist eine Kreditkarte zu belasten oder muss eine Rechnung erstellt werden?“ Hier seien Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit gefragt. „Wenn ich etwas falsch mache, kostet das meinen Kollegen Zeit“, so Hamedeh Sobhani. „Deshalb checke ich alles doppelt.“
Bewerbung & Vorbereitung
Für das Azubi-Hotel 2024 konnten sich ab Mitte März sämtliche Azubis ab dem zweiten Lehrjahraus allen Living Hotels in Deutschland bewerben und in einem Motivationsschreiben oder -clip begründen, warum sie dabei sein wollen. Aus über 30 Bewerbungen wurden die 13 Projektteilnehmer in Absprache mit den jeweiligen Hoteldirektoren und Ausbildern ausgewählt.
Bevor es für alle nach Berlin ging, folgte eine rund sechsmonatige Vorbereitungsphase mit persönlichen wie virtuellen Lernsessions, Führungscoachings, Onboardings, Kennenlern- und Fragerunden. Für die Zeit des Azubi-Hotels waren die Teilnehmer zudem von den regionalen Berufsschulen freigestellt und mussten stattdessen in Berlin einen Berufsschultag pro Woche im Selbststudium absolvieren. Ferner erhielten sie Workshops, Trainings on the Jobs und Schulungen von Ausbildern, die dazu aus anderen Häusern im wöchentlichen Turnus anreisten.
Am Empfang hat Kevin Lang als Azubi-Abteilungsleiter den Hut auf und schreibt in dieser Rolle auch den Dienstplan. „Das hatte ich mir anfangs einfacher vorgestellt, aber es verlangt doch einiges an organisatorischem Geschick“, sagt er. „Doch es ist auch ein bisschen wie Tetris spielen.“ Das bestätigt auch Frühstücksleiterin Eleni Klinken, die den Dienstplan für ihr Team schreibt: „Es hat etwas gedauert bis ich einschätzen konnte, wer ist stärker, wer schwächer? Wo brauche ich mehr Leute, wo weniger?“ Fragen, mit denen die Azubis in ihren eigenen Ausbildungsbetrieben bislang nicht konfrontiert wurden.
Ausprobieren und wachsen
Während ihrer Zeit im Azubi-Hotel wohnen die Auszubildenden wie in einer großen WG in eigenen Apartments im direkt auf der anderen Straßenseite gelegenen, ebenfalls zur Hotelgruppe gehörenden Living Hotel Großer Kurfürst. Dort ist in dieser Zeit auch das reguläre Hotelteam des Living Hotels Berlin Mitte beschäftigt. Es steht im Hintergrund parat und bildet im Ernstfall das Backup: „Wir könnten sofort vor Ort sein, falls die Azubis überfordert sind“, sagt Direktor Marcus Kaiser, „etwa mit einem schwierigen Gast oder im Fall einer Evakuierung in einer Brandsituation.“ Dass dabei Dinge schief gehen können, ist Teil des Projekts. Der Nachwuchs soll gezielt Fehler machen dürfen, sich selbst ausprobieren und daran wachsen.
Doch so weit wollten es die diesjährigen Azubis gar nicht kommen lassen: „Wir haben versucht, so gut es geht, allein klarzukommen“, betont Empfangschef Kevin Lang. „Die Motivation war bei allen von Anfang an groß, an der Rezeption lief alles problemlos.“ Direktor Kaiser bestätigt diesen Eindruck: „Ich selbst kam nur dreimal am Tag herüber, meist nicht länger als eine Viertelstunde. Es ist schön, wenn Azubis motiviert sind. Die Dreizehn hatten Lust zu lernen und auf die Hotellerie.“
Extra: „Grüne“ Woche für die Azubis
In diesem Jahr gehörte erstmalig auch eine „Grüne Woche“ zum Schulungs-Programm des Azubi-Hotels. Nicht nur, weil das Thema gelebte Nachhaltigkeit die nachrückende Generation besonders interessiert, sondern auch weil sie für Hotelgäste ein immer wichtigeres Buchungskriterium wird und ebenso zur Nachhaltigkeits-Management-Ausrichtung der ganzheitlich Green Globe zertifizierten Hotelgruppe passt.
Im Rahmen der Green Week wurde für die Auszubildenden unter anderem ein Nachhaltigkeits-Workshop abgehalten. Zudem begleiteten die drei Azubi-Abteilungsleiter ein Green Globe Audit, um zu erleben, wie ein fortlaufender Zertifizierungsprozess abläuft.
Außerdem ging es für einen Teil der Azubis einen Tag ins Tierheim Berlin, damit sie sehen konnten, wie weit ihre Arbeit reichen und welchen Mehrwert diese durch die Umsetzung einer Idee haben kann. In dem Fall durch das kettenweite Reinigungsverzicht-Projekt, das Teil der Nachhaltigkeitsstrategie der Living Hotels ist. Pro verzichteter Zimmerreinigung spendet die Gruppe 4 Euro an eine soziale Einrichtung. Die drei Berliner Living Hotels unterstützen dabei das Tierheim Berlin. In diesem Jahr durften die Azubis selbst den Spendenscheck übergeben.
Neben seiner Rolle als Empfangschef hatte Kevin Lang, der zudem bereits zum zweiten Mal beim Azubi-Hotel dabei war, erstmals den Part des Hotel-Paten übernommen. Damit war er erster Ansprechpartner für die anderen Azubis: „Wenn jemand Probleme hatte, konnte er zuerst zu mir kommen, bevor wir bei der Hotelcrew nachgefragt haben.“ Der Plan ging auf: Die Teilnehmer des Azubi-Hotels übernahmen viele Aufgaben, die sie während der Ausbildung in ihren eigenen Betrieben nicht selbst ausführen. „Sie haben das alles ganz alleine gemanagt, sich organisiert, die Ware bestellt, die Kasse abgerechnet“, berichtet Marcus Kaiser. Und Kevin selbst sagt: „Das Projekt war eine super Chance, neue Sachen zu lernen und selbst zu wachsen.“
Unerwartete Herausforderung fürs Team
Hotellobby, 11:30 Uhr. Am Rezeptionstresen macht sich auf einmal leichte Unruhe bemerkbar: Eine Gruppe von zwölf Gästen ist früher angereist als geplant. Der Check-in ist erst ab 15 Uhr garantiert. Nun heißt es: Hinhalten bis die Zimmer fertig sind. Dabei ziehen alle Azubis an einem Strang: Das Frühstücksteam belegt Semmeln, um sie der wartenden Gruppe zu servieren, Housekeeping-Chefin Thi Ngoc Thuy Nguyen (31) beeilt sich mit der Zimmerkontrolle. Gemeinsam mit Teamkollege David Ramos (32) checkt sie, ob die Spiegel sauber, Lappen oder Zahnputzbecher unbenutzt sind. „Die Seifenspender müssen immer aufgefüllt sein und jedes Zimmer muss einen Schuhlöffel haben“, erläutert der 32-Jährige, der zudem aus Erfahrung weiß, dass Gäste gern mal etwas im Safe vergessen oder hinter der Gardine liegen lassen. „Manchmal sind noch Haare auf dem Bett oder die Toiletten noch schmutzig“, so David Ramos weiter. „Wenn wir das selbst schnell beheben können, machen wir das. Sobald das aber öfter vorkommt, müssen wir mit dem Zimmermädchen reden.“
Über ein Walkie-Talkie kommuniziert Thi Ngoc Thuy Nguyen derweil mit Kevin Lang am Empfang. Im Minutentakt hakt der nach, ob die Zimmer bezogen werden können: „Ist 368 fertig?“ – „368 ist sauber“, gibt die Housekeeping-Leiterin im Kommandoton zurück. „Das ist nur Spaß“, gibt sie augenzwinkernd zu verstehen.
Teamwork makes the dream work
David Ramos’ anfängliche Sorgen, die Zusammenarbeit könnte nicht gut laufen, haben sich innerhalb der sechs Wochen verflüchtigt: „Wir sind zu einem tollen Team zusammengewachsen,“ resümiert er. „Das Azubi-Hotel war eine wirklich gute Erfahrung.“ Auch seiner Kollegin Hamedeh Sobhani bedeutete der Zusammenhalt in der Gruppe viel: „Meine Kollegen waren alle hilfsbereit und immer für mich da.“
Direktor Marcus Kaiser ist gleichermaßen begeistert von den diesjährigen Projektteilnehmern: „Ich habe das Teambuilding beobachtet und viel Selbstsicherheit und gegenseitige Unterstützung wahrgenommen.“ Entstanden sei eine dynamische Gruppe, die zusammen wunderbar funktioniere. „Selbst wenn einer frei oder seinen Berufsschultag hat – um 10 Uhr saßen alle beim Teamfrühstück zusammen.“
Für die Azubis bedeutete die Zeit im Living Hotel Berlin Mitte nicht zuletzt vor allem eines: Sie haben neue Erfahrungen gesammelt und sind daran gewachsen. Eleni Klinken ist klar geworden, dass ihr das Projekt in Hinblick auf eigenverantwortliches Arbeiten viel gebracht hat: „Normalerweise ist immer ein Ausbilder oder eine Fachkraft in der Nähe, die uns Verantwortung abnimmt, doch hier waren wir auf uns allein gestellt – und mussten selbst Lösungen finden.“ Und Kevin Lang fühlt sich ermutigt: „Ich bin noch selbstsicherer geworden und beherrsche das Frontoffice nun so gut, dass ich künftig auch die Verantwortung für eine Abteilung übernehmen kann.“ red/uls