Kaiser, König, Edelmann, Bürger, BAUR, Bettelmann: Johannes Baur, ein Österreicher aus Vorarlberg, eröffnete 1838 am heutigen Paradeplatz in Zürich das „Hotel Baur“. Wer war dieser Johannes Baur? Hier die Antwort von Andreas Augustin, dem führenden Hotelhistoriker Europas.
Am 20. Dezember 2023 eröffnete in Zürich das Mandarin Oriental Savoy. Das heutige, für über 80 Millionen Franken total umgebaute Hotel steht genau dort, wo früher das „Savoy Hotel Baur en Ville“ Zürcher Hotelgeschichte geschrieben hat. Und damit es noch ein wenig komplizierter wird: Von 1838 bis 1920 wechselte es mehrmals den Namen: anfangs hieß es „Hôtel Baur“, dann „Baur en Ville“, dann kurz „Grand Hôtel et Baur en Ville“ und bis 2022 „Savoy Hôtel Baur en Ville“. Dieses Hotel am Paradeplatz hat mehr Mutationen hinter sich als ein Mutant Ninja Turtle.
Es war 1838 das erste Grand Hotel der Stadt. Einen Steinwurf davon entfernt steht heute das Baur au Lac. Erdacht, erbaut und eröffnet hat beide Hotels der Österreicher Johannes Baur.
Letzte Woche habe ich Ihnen von Johannes Baur erzählt, der vom Vorarlberger Bäckergeselle zum Hotelier in Zürich avanciert war. Bald schon wurde sein Hotel Baur zum ersten Hotel am Platz.
Der Froschengraben zieht sich durch die Stadt, das elegante weiße Gebäude links ist das Hotel Baur (1855). Anstelle des Froschengraben wird hier die Bahnhofstrasse verlaufen. Noch steht das weiß getünchte Hôtel Baur wie ein Solitär an diesem Graben. Am Dach des Hotels befindet sich das „Belvedere“. So heißt der Dachgarten mit dem 100 Meter langen, drei Meter breiten Wandelgang, in jeder Hinsicht der Höhepunkt des Hotels. Hier promeniert man hoch über der staubigen Straße an heißen Sommertagen in reinster Luft. An Orangenbäumchen vorbei blickt man über die Stadt, zum Fraumünster. Im Süden glänzt der See. Welch biedermeierliches Genrebild, das sich hier darstellt. Die Reisenden genießen die Fernsicht. Englische Touristen: „Oh look! Oh my God. Is that snow on the mountains?“
An den kleinen Tischen auf der Dachterrasse bestellt man gerne ein kühles Bier und eine Bratwurst mit Sauerkraut. „Kommt sofort!“ sagt der Aufwärter, so heißt der Kellner. Er wendet sich um zu einem Trichter, in den er die Bestellung ruft. „Sonst bewegt er sich nicht von der Stelle“, beschreibt ein enttäuschter Gast, ehe er realisiert: Drei Stockwerke tiefer wird in der Küche jeder Wunsch sofort erfüllt und prompt per Speisenaufzug nach oben geschickt. Das ist eine Novität, die ihresgleichen sucht. Bestellung per Sprachrohr und Speiseaufzug!
Die frische Luft ist ein Thema. Ein Seegrundstück erregt Baurs Interesse. Dort sollte nach seiner Fantasie ein Hotel entstehen, das sich mit seinen schönsten Zimmern und Balkonen dem See zuwendet. Totaler Blödsinn, sagt man ihm in der Stadt. Wer will schon über den See blicken? Tja, so ändern sich die Zeiten. Was wäre Zürich heute ohne das Baur Au Lac?
Bleiben wir beim Baur in der Stadt, das nach der Eröffnung des Baur au Lac den Namen Baur en Ville bekommt, um es besser von seiner jüngeren Schwester am Seeufer zu unterscheiden. Für Jahre werden die beiden Häuser als wirtschaftliche Einheit geführt. Jetzt wird unsere Recherche wieder mal spannend. Wir sind in die Fremdenlisten der ersten Jahrzehnte eingestiegen.
Der Tourismus in Zürich war geprägt von Geschäftsreisenden, von China und Holländisch-Indonesien bis New York reichen die Adressen der Hotelgäste. Viele Schweizer Kaufleute. Berühmte Namen alter Familien. Wir dürfen nicht vergessen, dass über 250.000 alte Franken von Kapitalgebern aus der Schweiz für den Bau des Hotels zur Verfügung gestellt worden waren.
In den 1840er Jahren versucht man in Zürich, Genf den immer stärker werdenden Sommertourismus streitig zu machen. Der See und der Blick auf die Berge – das kann Zürich auch bieten! Mit diesem Ehrgeiz erwirbt Johannes Baur nur wenige Jahre nach der Eröffnung seines Hotels an der Poststraße ein Grundstück von der sogenannten Schanzenkommission. Das Land liegt am Ausfluss des Schanzengrabens in den Zürichsee, und seine Absicht ist, dort eine „Familien-Pension“ für Gäste zu errichten, die rein aus Vergnügen reisen und einen längeren Aufenthalt in Zürich planen.
Auch diesmal sind es neben dem Architekten Conrad Stadler vor allem Investoren aus Basel, die ihm das Geld vorstrecken. Übrigens: Stadlers Hauptwerk ist der Posthof. Das ist die letzte Woche beschriebene Poststation, wo die Postkutschen ankommen. Vis a vis steht das Hotel Baur. Vom Posthof ist heute nur noch ein Teil originalgetreu erhalten, etwa die Fassade mit den Säulen vor dem Geschäft des Optikers Zwicker.
Doch es scheint, dass Baurs unverwüstlicher Optimismus ihm diesmal zum Verhängnis wird. 1842 gerät er in Zahlungsschwierigkeiten, wodurch viele Handwerker und andere Gläubiger geschädigt werden. Der Mangel an Mitteln dürfte zudem dazu geführt haben, dass seine „Pension am See“ nur etappenweise gebaut werden kann. 1844 spitzt sich seine Lage zu: In der Zürcher Presse erscheinen Gläubigeraufrufe. Und der Zürcher Korrespondent der „Salzburger Zeitung“ berichtet aus der Stadt an der Limmat: „Der mit Insolvenzerklärung eingekommene bisherige Besitzer des Hôtel Baur in Zürich, J. Baur von Rheinland, ist in Verhaft gesetzt worden.“ Damit ist vorerst mal Pause mit den Expansionsplänen.
Für das wahre „Storytelling“ über die originellsten Ereignisse, wichtigsten Augenblicke und berühmten Gäste des Hotel Baur müssen Sie sich noch ein wenig gedulden. Das Buch zum Hotel wird demnächst präsentiert — freuen Sie sich unter anderem auf Franz Liszt, Charles Dickens und die Geliebte des Bayerischen König Ludwig, die schöne Lola Montez. Und auf Harald Schmidt und Udo Jürgens.
Zurück zum Hotel Baur. Das Restaurant mit seinem Table d’hôte Service ist eine besondere Attraktion für die Gäste. Die Kellner reichen die Speisen in einer langen Kette aus der Küche bis zum Gast. Der Gag schafft sogar den Eintrag in den Reiseführer des deutschen Carl Baedeker. Die heutigen „Gourmetführer“ hätten Küchenchef F. V. Veit sicherlich mit Hauben und Sternen bedacht. Veit ist eine Zürcher Persönlichkeit. Einer der ersten Celebrity Chefs. 1852 gibt er sein Kochbuch heraus: „Die Bürger-Küche für Stadt und Land oder allgemein verständliches und leichtfassliches Kochbuch mit besonderer Rücksicht auf die Kost für Kranke und Genesende. Eine Gabe für das schöne Geschlecht, um in kurzer Zeit von selbst die Kochkunst aus ihrem Fundamente erlernen zu können. Aus eigener Erfahrung bearbeitet und herausgegeben von F.V. Veit.“ Verlag Orell Füssli, 1852. Was für ein Titel!
Unter den Kellnern des Hotel Baur tut sich ein fleißiger Hesse, ein gewisser Christof Ziesing, besonders hervor. Gewandt und gutaussehend, avanciert er zur rechten Hand von Johannes Baur. Auch Baurs zwei Töchter bleibt sein Eifer nicht verborgen, besonders der jüngeren Tochter Barbara, die als regelrechtes „It-Girl“ ihrer Zeit gilt. Die resolute junge Dame interessiert sich fürs Geschäft, begrüßt ankommende Gäste, die den Duft der weiten Welt ins Haus tragen, und steckt ihre Nase in Bücher. Im nahegelegenen Orell Füssli ist sie Stammgast und liest Heinrich Heines revolutionäre Gedanken und freche Reiseberichte, Goethes herzzerreißenden „Werther“ und Charlotte Brontës „Jane Eyre“ – die Geschichte einer unabhängigen und willensstarken Frau, die ihren eigenen Weg geht.
Ihr Bruder Theodor sammelt noch Erfahrung im Ausland, kehrt nach Zürich zurück und steht dem Vater bei. Barbara und der brave Christof Ziesing kommen einander näher und sehen nach dem Baur en Ville, Theodor kümmerst sich intensiv um das Baur au Lac.
Bleibt nur die finanzielle Belastung durch die Hypotheken. Da passiert ein Wunder, wenn es auch einen tragischen Hintergrund hat. Mit einem Schlag lösen sich Baurs finanzielle Schwierigkeiten in den Jahren 1858 und 1859 auf wundersame Weise. Im weitesten Sinne hat es sogar mit einer spektakulären Persönlichkeit aus dem engen Umfeld des Hôtel Baur en Ville zu tun. Der italienische Adelige und Freiheitskämpfer Felice Orsini ist Stammgast im Café von Baur an der Rückseite des Hotels. 1858 sorgt Orsini in Paris für Schlagzeilen, als er versucht, den französischen Kaiser Napoleon III. zu ermorden. Nach seiner Hinrichtung hängt Baur Orsinis Porträt im Café auf, das fortan „Orsini“ heißt. Dies ist von Bedeutung, da Orsini für die Unabhängigkeit Italiens von Österreich kämpft. Für Napoleon III. wird dies ein „Weckruf“. Kurz darauf provoziert er einen Krieg mit Österreich, das Teile Norditaliens besetzt hält. In der Schlacht von Solferino erleidet Österreich eine blutige Niederlage gegen die sardinischen und französischen Truppen.
Daraufhin positioniert sich die Schweiz, insbesondere Zürich, als neutraler Ort für internationale Konferenzen. Nach einem vorläufigen Waffenstillstand zwischen Kaiser Franz Joseph und Napoleon III. wird 1859 in Zürich ein Friedensvertrag ausgearbeitet. Die französischen und österreichischen Gesandten logieren im Baur au Lac, die sardischen Vertreter im Baur en Ville. So wohnen alle Delegationen in einem der Häuser von Johannes Baur. Die Konferenzdauer vom 8. August bis 10. November bringt Baur die Möglichkeit, all seine beträchtlichen Hypotheken abzuzahlen.
Drei Monate mit fast 100-prozentiger Auslastung bedeuten bei 200 Zimmern 18.000 gebuchte Übernachtungen. Schon 50 Prozent Auslastung sind ein Segen – Baur ist mit einem Schlag schuldenfrei. Er kann sogar die Hypothek für sein privates Refugium „Venedigli“ begleichen, ein Anwesen am See, das von Wasserkanälen umgeben ist und daher diesen Namen trägt. Venetien bleibt nach dieser Konferenz vorerst bei Österreich, das „Venedigli“ jedoch geht endgültig in den Besitz von Baur über.
Für seine Verdienste um die Förderung des Zürcher Fremdenverkehrs erhalten Johannes Baur und sein Sohn Theodor 1859 das Stadtzürcher Bürgerrecht. 1860 werden die beiden in die Zunft zur Waag aufgenommen – die Zunft der Wollen- und Leinenweber, Bleicher und Hutmacher.
1860 zieht sich Baur, angesehen und wohlhabend, auf seinen Landsitz „zum Venedigli“ zurück. Er verstirbt 1865, im Alter von 70 Jahren. Die „Pension und Hotel Baur au Lac“ führt sein Sohn Theodor Baur weiter, während das „Hotel Baur en Ville“ an der Poststraße von seiner energischen Tochter Barbara übernommen wird, die schlussendlich den aus Hessen stammenden Oberkellner Christof Ziesing heiratet.
Johannes Baur wird man als den Begründer zweier legendärer Hotels in Zürich in Erinnerung behalten. Innerhalb von 20 Jahren hat er die Hotellerie der Stadt revolutioniert, neue Standards eingeführt und seinen Teil zum guten Ruf der Schweizer Hotellerie beigetragen.
ENDE der Serie
Teil 1 der Serie über Johannes Baur
Bildlegende Hauptfoto: Hotel Baur am heutigen Paradeplatz. Bild: Archiv Stadt Zürich