Sie untersuchen auch, welchen Einfluss die Sozioökonomie auf die Verkehrsmittelwahl hat. Können Sie das erläutern?
Bei den sozioökonomischen Faktoren geht es vor allem um Einkommen und Bildung. Wir sehen, dass mit steigendem Einkommen die Radnutzung tendenziell steigt. Menschen mit geringem Einkommen nutzen das Rad seltener. Mein spezielles Forschungsinteresse gilt Menschen, die nahe an der Armutsgrenze oder unter der Armutsgrenze leben. Sie können sich weder ein Auto leisten, noch einen Fahrschein für den ÖPNV und auch: kein Fahrrad. Wir wissen aus eigener Forschung, dass diese Menschen mitunter nicht einmal Freund:innen und Familie besuchen oder zum Arzt fahren können, weil sie sich schlicht die Wege dorthin nicht leisten können. Damit ist diese Gruppe von der gesellschaftlichen und sozialen Teilhabe abgekoppelt. Mir geht es darum, zu erforschen und dann aufzuzeigen, wie wir Menschen über eine bezahlbare Mobilität – ob mit dem ÖPNV, dem Rad oder zu Fuß – soziale Teilhabe ermöglichen können. Erhalten Menschen Zugang zu Mobilität, erhalten sie auch ein Stück Selbstbestimmung zurück. Ich finde es eklatant und fast schon unwürdig, dass wir in Deutschland nicht in der Lage sind, Menschen diese grundlegende Mobilität zu ermöglichen.
Was kann getan werden, um Menschen an der Armutsgrenze soziale Teilhabe durch das Fahrradfahren zu ermöglichen?
In den ganz niedrigen Einkommensgruppen fehlen tatsächlich die finanziellen Mittel, um sich dieses relativ günstige Verkehrsmittel überhaupt anschaffen zu können. Geschweige denn Fahrradtaschen, Kindersitz oder Helm. Es fehlt oft auch das Wissen, wie man ein Fahrrad selber repariert. Auch Fahrradwerkstätten sind für die ganz niedrigen Einkommensgruppen zu teuer. Hier geht es darum, kostengünstige und niedrigschwellige Angebote zu schaffen, die das Radfahren und damit eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Das kann man machen über Selbsthilfe-Werkstätten für die Radreparatur und über Fahrrad-Lernkurse, Verkehrserziehung und Mobilitätsbildung nicht nur für Kinder, sondern auch für ihre Eltern und Großeltern. Und natürlich darüber, dass man zum Beispiel Fahrrad-Gutscheine verteilt. Da geht es nicht um das super tolle neue Fahrrad für 4000 Euro, sondern es geht um Fahrräder, die gebraucht auch noch völlig in Ordnung sind. Es gibt sehr viele gebrauchte Fahrräder, die gut ertüchtigt werden könnten, um sie Menschen zur Verfügung zu stellen, die sich ein neues Rad nicht leisten können. Politisch gesehen gilt es hier beispielsweise, die vielen tollen ehrenamtlichen Initiativen, die es in diesem Feld schon gibt, auch finanziell und personell gezielt zu unterstützen.
Auch die politische Kultur hat Ihren Forschungen zufolge Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl, inwiefern?
Wenn man beispielsweise in die Niederlande schaut und das Königspaar öffentlich Fahrradfahren sieht, hat das eine politisch-kulturelle Wirkung – es geht also auch um Vorbilder. Wir haben zwar kein Königspaar, aber wir haben Politikerinnen und Politiker. Doch auf Bundes- und Länderebene ist ein radfahrender Politiker bzw. eine radfahrende Politikerin ein sehr seltenes Bild. Wir leben im Gegensatz zu den Niederlanden, die keine Autoindustrie hat, in einem klassischen Autoland. Die Automobilindustrie hierzulande prägt unsere Mobilitätskultur. Das zu durchbrechen, ist nicht einfach. Auch weil Autos nicht nur auf unseren Straßen präsent sind, sondern z. B. auch in Kinderbüchern, als Spielzeug, in Filmen und Serien. Deswegen ist der Einsatz der Kommunalpolitiker:innen hervorzuheben, die sich am jährlichen Stadtradeln beteiligen. Sie legen, gemeinsam mit möglichst vielen Menschen aus ihrer Kommune, in einem vorgegebenen Zeitraum möglichst viele Kilometer mit dem Fahrrad zurück. Das verschafft dem Fahrrad Sichtbarkeit und erhöht dessen Stellenwert in der Mobilitätskultur der Region.
Ihre und die anderen Stiftungsprofessuren werden nur für wenige Jahre vom Verkehrsministerium gefördert – wie geht es danach weiter?
Zunächst ist es natürlich absolut zu begrüßen, dass die Stiftungsprofessuren eingerichtet wurden, sie zeigen, welchen Stellenwert der Radverkehr für die Verkehrswende hat. Die so ermöglichte Forschung und Lehre trägt u. a. dazu bei, die teils sehr emotional geführte Debatte um das Fahrradfahren und den Ausbau der Radinfrastruktur zu versachlichen. Wichtig ist, dass die Stiftungsprofessuren auch eine Perspektive über die Anschubfinanzierung des Bundesverkehrsministeriums hinaus haben. Alle Hochschulen mussten sich verpflichten, die Professuren im Anschluss zu verstetigen. Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage an den Hochschulen fehlt aber vielerorts das Geld, auch das dazugehörige wissenschaftliche Personal dauerhaft zu finanzieren. Ein Problem, dass die Hochschullandschaft in Deutschland ja generell prägt und die Perspektive von jungen Wissenschaftler:innen mitunter trübt. Damit besteht immer auch die Gefahr, dass wertvolle Expertise verloren geht, von der vor allem auch die Studierenden an den Hochschulstandorten und damit ja auch die Fachkräfte von morgen vielfach profitieren könnten. Hier wünschen wir uns als Stiftungsprofessuren auch künftig Unterstützung von Bund und Ländern sowie eine beständige Förderlandschaft, damit wir das im nationalen Radverkehrsplan anvisierte Ziel, Deutschland zum Fahrradland zu machen, auch erreichen.
Wir danken für das Gespräch!