Nachhaltigkeit ist im Hotelmarkt längst vom freiwilligen Zusatz zur strategischen Pflicht geworden. Doch während regulatorischer Druck und Gäste-Erwartungen steigen, wächst auch der Dschungel an Zertifikaten. Eine neue Studie von Horwath HTL zeigt, wie Hoteliers in Deutschland, Österreich und der Schweiz zwischen Anspruch, Aufwand und Wirkung navigieren – und warum ein einheitliches System überfällig wäre.
Für Hotels in der DACH‑Region ist Nachhaltigkeit längst kein «Nice-to-have» mehr. Mit der EU‑Taxonomie und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sind große Betriebe bereits seit 2025 verpflichtet, umfassend über Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte (ESG) zu berichten.
Diese Vorgaben erfassen auch viele Hotelunternehmen in Deutschland und Österreich, während Schweizer Betriebe zunehmend indirekt über internationale Standards und Geschäftsreisekunden unter Druck geraten. Entsprechend stellt sich die Frage: Wie lässt sich Pflicht in Kür verwandeln – und ein notwendiges Reporting aktiv für Marketing, Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit nutzen?
Aktuell konkurrieren im deutschsprachigen Raum (DACH) über 40 Nachhaltigkeitszertifikate um Aufmerksamkeit und Anerkennung. Für Hotelbetreibende wie auch Gäste wirkt diese Vielfalt eher verwirrend als hilfreich. Die Studie der Hochschule Heilbronn analysierte vier besonders relevante Systeme: TourCert, Green Globe, Certified Green Hotel und den DEHOGA Umweltcheck.
TourCert punktet durch ein stark prozessorientiertes Vorgehen und bezieht anerkannte Standards wie EMAS und GSTC ein. Green Globe überzeugt mit einem sehr tiefen, international anerkannten Katalog von über 385 Kriterien – arbeitet aber so komplex, dass kleinere Hotels rasch an Grenzen stoßen. Das Certified Green Hotel bietet eine praxisnahe Ausrichtung, richtet sich aber klar an Businesshotels und setzt eine Certified‑Grundzertifizierung voraus. Der DEHOGA Umweltcheck wiederum ist ein niederschwelliger Einstieg, besonders für klein- und mittelständische Häuser geeignet, aber inhaltlich weniger tief. Kein Zertifikat deckt alle Bedürfnisse ab – entscheidend ist daher die Passung zum individuellen Betriebsprofil.
Die Investitionen variieren erheblich: Während der DEHOGA Umweltcheck bereits zwischen 250 und 450 Euro kostet, liegen Certified‑Gebühren bei etwa 2.000 Euro pro Jahr. TourCert rechnet nach Zimmeranzahl ab und bewegt sich je nach Hausgröße auf einem höheren Niveau. Dennoch gilt: Nachhaltigkeit muss nicht teuer sein. Kosten entstehen häufig eher durch Bürokratie und Zeitaufwand. Expertinnen wie Harro Grimmer weisen darauf hin, dass sich Investitionen in effizientere Gebäudestrukturen mittel- bis langfristig durch Energieeinsparungen amortisieren. Entscheidend ist daher, dass Zertifikate verhältnismäßig bleiben – insbesondere für kleinere Betriebe in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Die Studie zeigt ein klares Dilemma: Zwar bewerten viele Gäste Nachhaltigkeit als wichtig, doch kennen die wenigsten die vorhandenen Zertifikate oder unterscheiden sie. Der buchungsrelevante Mehrwert bleibt damit diffus. Erst Empfehlungen aus dem sozialen Umfeld oder transparente Kommunikation erhöhen die Bereitschaft, ein nachhaltiges Hotel bewusst zu wählen – und sogar mehr dafür zu zahlen. Der Wunsch nach Orientierung ist groß; die Vielzahl der Labels ist jedoch ein Hindernis.
Die Analyse macht deutlich, dass kein existierendes Zertifikat sämtliche Anforderungen erfüllt. Ein zukunftsweisendes Modell müsste Elemente aller Systeme kombinieren: etwa TourCerts Prozessbegleitung, Green Globes umfassenden Kriterienkatalog, Certifieds unabhängige Prüfmechanismen sowie ein modulares Stufensystem mit klaren Einstiegshürden für kleine Hotels. Ebenso notwendig wären digitale Tools für Transparenz und nachvollziehbare Fortschritte. Von zentraler Bedeutung – besonders in der Schweiz mit ihrem fragmentierten Markt – wäre zudem die politische Unterstützung für ein übergreifendes, glaubwürdiges und einfach verständliches System. Nur so könnte Greenwashing wirksam verhindert und echte Nachhaltigkeit sichtbar gemacht werden.
Nachhaltigkeit ist auch für die Schweizer Hotellerie längst kein Marketing-Spiel mehr. Mit dem Label ibex fairstay gibt es eine branchenspezifische Zertifizierung, die genau hier ansetzt. Doch wie unabhängig ist dieses Label, wie relevant im Schweizer Markt – und was unterscheidet es von anderen Nachhaltigkeitsnachweisen?
In der Schweiz etablierte sich mit ibex fairstay ein Nachhaltigkeitslabel, das gezielt auf die Hotel- und Beherbergungsbranche zugeschnitten ist. Die Methodik umfasst fünf Dimensionen – Management, Ökologie, Regionalität, Soziales sowie Finanzen & Performance. Die Auszeichnung richtet sich an Betriebe mit überdurchschnittlichem Anspruch an ihre Nachhaltigkeitsperformance.
ibex fairstay versteht sich als unabhängig, sachlich und objektiv. Die Auditierung erfolgt extern durch unabhängige Auditoren vor Ort, der Abschlussbericht wird durch ein Zertifizierungskomitee geprüft. Zudem setzt das Label auf ein «6-Augen-Prinzip». Obwohl sich ibex fairstay an internationalen Standards orientiert, ist es nicht offiziell durch den GSTC akkreditiert – dies lässt Interpretationsspielraum hinsichtlich globaler Vergleichbarkeit.
Die Relevanz des Labels ist spürbar: Über 140 Betriebe in der Schweiz tragen ibex fairstay, darunter Hotels, Hostels, Campingplätze und seit kurzem auch Gastronomiebetriebe. Zudem wird es von Swisstainable auf Level III («leading») anerkannt. Für Hoteliers bietet das Label einen lokal verankerten, branchennahen und praxisorientierten Ansatz, der als Differenzierungs- und Managementinstrument dient.
Die Besonderheiten von ibex fairstay
- Klare Ausrichtung auf die Beherbergungsbranche mit angepassten Kriterien
- Ganzheitlicher Ansatz: Ökologie, Soziales, Regionalität und Wirtschaftlichkeit
- Stufenmodell: Bronze, Silber, Gold, Platin
- Kompatibel mit anderen Labels (z.B. TourCert)
- Fokus auf Weiterentwicklung als Management-Tool
Trotz externer Audits bleibt die Frage, wie stark Unabhängigkeit und Markensichtbarkeit wahrgenommen werden. Während ibex fairstay in der Branche etabliert ist, bleibt die Bekanntheit bei Gästen vergleichsweise tief – ein generelles Problem vieler Nachhaltigkeitslabels.
Für Schweizer Hoteliers ist ibex fairstay ein glaubwürdiges, lokal stark verankertes und umfassendes Nachhaltigkeitslabel. Es bietet Orientierung, Struktur und Transparenz – ist jedoch weniger international anschlussfähig als globale Zertifizierungsstandards. Im Schweizer Markt bleibt es eine zentrale Option für eine glaubwürdige und strategisch verankerte Nachhaltigkeitszertifizierung.
Zahlen und Fakten
- Anzahl relevanter Nachhaltigkeitszertifikate in der DACH-Region: über 40
- In der Studie detailliert analysierte Zertifikate: TourCert, Green Globe, Certified Green Hotel, DEHOGA Umweltcheck
- Kosten DEHOGA Umweltcheck: 250–450 Euro
- Kosten Certified Green Hotel: ca. 2.000 Euro/Jahr
- TourCert: individuelle Kostenberechnung nach Zimmeranzahl
- Green Globe: über 385 Kriterien im Prüfkatalog
- CSRD-Pflicht ab 2025 für: Betriebe mit 250 Mitarbeitenden, 25 Mio. € Bilanzsumme oder 50 Mio. € Umsatz (DE & AT)
- Mehrheit der befragten Gäste: kennen Zertifikate kaum oder gar nicht
- Bereitschaft zur Mehrzahlung vorhanden, wenn Mehrwert klar kommuniziert wird
- Größte Hürden laut Experten: Bürokratie, Zeitaufwand, fehlende Transparenz
Über Horwath HTL
Bei Horwath HTL liegt der Fokus auf der Hotel-,Tourismus- und Freizeitberatung. Horwath HTL unterhält 52 Niederlassungen in 38 Ländern, die über 40.000 Aufträge für private und öffentliche Kunden durchgeführt haben. Horwath HTL ist Teil des Crowe Global-Netzwerks, eines der zehn führenden Netzwerke für Wirtschaftsprüfung und Finanzdienstleistungen. In der Schweiz ist Horwath HTL durch den Hotelexperten und Ex-Hotelier Andrea Jörger präsent.
