Der alpine Wintertourismus steht vor seiner größten Bewährungsprobe seit der Erfindung des Skilifts. Der Klimawandel lässt Schneefallgrenzen steigen, alpines Skifahren wird immer teurer – und der Massensport von einst («Alles fährt Ski») wird zum Luxusvergnügen. Die Branche sucht nach neuen Perspektiven.
Der Winter war einst das Symbol alpiner Identität – eine Mischung aus Romantik, sportlicher Freiheit und wirtschaftlicher Stabilität. Heute ist er ein «Stresstest». Immer weniger Schnee, immer höhere Kosten, immer kritischere Gäste. Die Schweiz, Österreich und Süddeutschland stehen mitten in einem Strukturwandel, der die Grundlagen des Wintertourismus infrage stellt.

Schnee, der keiner mehr ist
„Die steigenden Temperaturen sind fatal für den Skitourismus“, sagt die Tourismus-Professorin Monika Bandi von der Universität Bern. In tiefen Lagen – also unterhalb von 1.500 Metern – wird die Schneesicherheit zum Glücksspiel. „100 Tage Schneesicherheit mit 30 bis 50 Zentimetern Schnee werden zunehmend unrealistisch“, ergänzt sie.


Auch Marc Olefs, Leiter der Klima-Folgenforschung bei Geosphere Austria, bestätigt: „Die natürliche Schneedecke geht langfristig besonders in tiefen und mittleren Lagen weiter zurück.“ Selbst künstliche Beschneiung stößt an Grenzen: „Die potenziellen Beschneizeiten werden weniger und der Bedarf an Wasser und Energie nimmt zu.“
Fakt ist: Technische Beschneiung ist teuer und ökologisch umstritten – sie braucht Ressourcen, die immer knapper werden. Der Winter wird zur Wette auf das Wetter.

Zwischen Überleben und Transformation
Für Dr. Roland Zegg, Gründer von grischconsulta und Initiant des Tourismus-Forums Alpenregionen, ist klar: „Skigebiete über 2000 Meter haben mittelfristig gute Aussichten – wenn sie in technische Beschneiung und ergänzende Angebote investieren. Schwieriger wird es für Gebiete auf 1000 bis 1500 Metern.“
Während hochgelegene Orte wie Zermatt, Saas-Fee oder St. Moritz ihre Lage als Vorteil nutzen, stehen tiefere Täler unter Druck. Ganze Regionen müssen sich neu erfinden. Zegg mahnt: „Dort, wo die Minustemperaturen fehlen, ist auch Beschneiung keine Option.“

Gleichzeitig verweist er auf eine notwendige Balance zwischen Qualität und Masse: „Die alpinen Regionen tun gut daran, ihre landschaftlichen Ressourcen sorgsam zu pflegen, die Gästefrequenzen über das Jahr zu balancieren und in den Spitzenzeiten weitsichtig zu steuern.“

Ski fahren als Statussymbol
Was einst Volksvergnügen war, wird zur elitären Freizeitbeschäftigung. „Das Skifahren entwickelt sich zu einer Luxusfreizeitbeschäftigung“, sagt Andreas Bärtsch von der Tourismusberatung Quant in Flims. In den letzten Jahren sind die Preise für Skipässe, Ausrüstung und Unterkunft stark gestiegen.
Der Mittelstand zieht sich zurück, während zahlungskräftige Gäste und internationale Märkte wichtiger werden. Bärtsch spricht von einer „Zweiteilung des Marktes“: Auf der einen Seite High-End-Destinationen mit Lifestyle-Fokus, auf der anderen Seite kleine Gebiete mit Strukturproblemen und sinkender Rentabilität.
„Das alles spielt großen, international ausgerichteten Destinationen mit moderner Infrastruktur in die Karten“, so Andreas Bärtsch. Die Folge: Der Wintertourismus wird selektiver – und exklusiver.

Neue Gäste, neue Bedürfnisse
Wer heute ins Gebirge reist, sucht mehr als makellose Pisten. Authentizität, Nachhaltigkeit und Erholung stehen hoch im Kurs. „Mittelfristig braucht es im Wintersport neue Angebote“, fordert Prof. Monika Bandi.
Winterwandern, Schneeschuhtouren, Spa-Erlebnisse und regionale Kulinarik gewinnen an Bedeutung. Gleichzeitig müssen Destinationen ihre Marken schärfen. Mike Partel von Mountain Management Consulting betont: „Wir müssen die Positionierung stärken und die Marke mit ihrem Qualitätsversprechen als Erfolgsfaktor profilieren.“
Eine aktuelle Wintersport-Analyse aus Österreich kommt zum Schluss, dass die Gästezufriedenheit in vielen Top-Destinationen sinkt. Das Preis-Leistungs-Verhältnis wird kritischer gesehen. Hubert Siller, Leiter des MCI-Tourismus-Center,ergänzt: „Wir müssen die junge Generation wieder für den Winterurlaub begeistern.“

Steuerung statt Wachstum
Während früher das Ziel lautete „mehr Gäste, mehr Umsatz“, steht heute Qualität im Vordergrund. Tourismusprofessor Jürg Stettler von der Hochschule Luzern bringt es auf den Punkt: „Langfristig müssen wir wohl über Obergrenzen im Wintertourismus diskutieren.“

Auch Prof. Kurt Matzler von der Universität Innsbruck fordert neue Steuerungsmechanismen: Digitale Systeme sollen Besucherströme lenken und Spitzenbelastungen verhindern. Der renommierte Tourismus-Professor Dr. Christian Laesser von der Universität St. Gallen sieht den Wandel pragmatisch: „Die alpinen Destinationen investieren seit einigen Jahren in die Infrastruktur außerhalb der Wintersaison – etwa in Mountainbike-Strecken oder Sommerrodelanlagen.“ Der Fokus, so Laesser, verschiebt sich: weniger Ski, mehr Ganzjahrestourismus.

Innovation als Überlebensstrategie
Wie Anpassung gelingen kann, zeigt das EU-Tourismusprojekt Beyond Snow. Zehn Alpen-Destinationen haben Strategien entwickelt, um trotz Schneemangels attraktiv zu bleiben.
Sattel-Hochstuckli setzt künftig auf Familienangebote, Balderschwang im Allgäu auf Kulinarik und Themenwanderungen, Métabief im französischen Jura auf Freizeitparks statt Skilifte.

„Entscheidend ist, dass lokale Akteure Verantwortung übernehmen und den Wandel aktiv gestalten“, sagt Richard Kämpf vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO). Politik und Wirtschaft ziehen zunehmend an einem Strang: In der neuen Schweizer Tourismusstrategie ab 2026 wird der Klimawandel erstmals als zentrales Handlungsfeld verankert.
Thomas Egger von der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) unterstreicht die Bedeutung gemeinsamer Strategien: „Wenn Bergbahnen, Hoteliers, Gemeinden und Bevölkerung an einem Strick ziehen, entstehen tragfähige Lösungen.“ Sein Fazit: „Die Zukunft des Wintertourismus ist das ganze Jahr.“

Zukunft zwischen Gletscher und Gras
Was bleibt, ist ein Spannungsfeld zwischen Emotion, Ökonomie und Ökologie. Der Winter verliert seine Verlässlichkeit, aber nicht seine Faszination.
„Der Winter ist jung, frisch, dynamisch und ertragsstark – zumindest dort, wo man ihn ernst nimmt“, so der Tourismus- und Bergbahnen-Experte Roland Zegg.
Kurz und gut: Die Zukunft des Winters in den Alpen wird selektiver, nachhaltiger und ehrlicher. Nicht jeder Ort wird Skidestination bleiben, aber viele können sich neu erfinden – als Orte des Rückzugs, der Natur, der Kultur und der Begegnung.
Der alpine Winter, so scheint es, steht an der Schwelle einer neuen Ära: weniger Pistenkilometer, mehr Haltung.

