Nicole Hinrichs ist ausserordentliche Professorin für Strategie und Unternehmertum und stellvertretende Dekanin für Studienprogramme an der EHL Hospitality Business School. Für die EHL-Dozentin steht fest: «Die KI kann die strategische Arbeit im Gastgewerbe beschleunigen, aber die Verantwortung für Entscheidungen und die strategische Ausrichtung muss bei den Entscheidungsträgern bleiben.»

Die Hotellerie war schon immer davon geprägt, Veränderungen im menschlichen Verhalten vorauszusehen – von der Vorhersage von Reisetrends bis hin zur Gestaltung von Erlebnissen, die bei den Gästen Anklang finden. Im Zeitalter der künstlichen Intelligenz (KI) scheint diese Prognosefähigkeit einen enormen Schub zu erhalten. KI-gestützte Suchwerkzeuge, grosse Sprachmodelle und Market-Intelligence-Plattformen ermöglichen es Entscheidungsträgern, riesige Datenmengen in Sekundenschnelle zu verarbeiten und Muster aufzudecken, für deren Erkennung früher wochenlange menschliche Arbeit nötig war. Dies ist unbestreitbar ein Quantensprung in Sachen Effizienz.

Doch während die KI unsere Fähigkeit, den Horizont zu überblicken, beschleunigt, birgt sie auch ein neues Risiko: die Auslagerung der strategischen Vorausschau. Wenn sich Führungskräfte bei der Gewinnung von Erkenntnissen nicht nur auf die KI als Werkzeug, sondern als primäre Quelle verlassen, besteht die Gefahr, dass genau die Kompetenz geschwächt wird, auf die wir für bahnbrechende Hospitality-Konzepte angewiesen sind: die Fähigkeit, Optionen kritisch zu bewerten und fundierte Entscheidungen zu treffen.


Strategische Entscheidungen im Gastgewerbe erfordern mehr als eine effiziente Datensynthese; sie verlangen ein Verständnis für die Gründe, die hinter den Entscheidungen stehen. Marktbeobachtung, Trendanalysen und Wettbewerbs-Benchmarking sind nicht einfach nur operative Aufgaben – sie sind Übungen im logischen Denken, die unsere Fähigkeit schärfen, zwischen kurzlebigen Modeerscheinungen und strukturellen Veränderungen der Verbrauchererwartungen zu unterscheiden. Werden diese Aktivitäten vollständig an die KI delegiert, laufen Führungskräfte Gefahr, das «Warum» hinter den von ihnen getragenen Entscheidungen aus den Augen zu verlieren.

Dies ist kein Aufruf, die KI abzulehnen – weit gefehlt. Die KI ist ein grossartiges Instrument, wenn es darum geht, Informationen effizient zu verarbeiten, schwache Signale zu erkennen und Führungskräfte von repetitiven Analyseaufgaben zu befreien. Aber sie sollte im strategischen Entscheidungsprozess der Passagier bleiben, nicht der Pilot. Die Rolle der Entscheidungsträger ist es, die von der KI gelieferten Erkenntnisse zu interpretieren, zu hinterfragen und in einen breiteren strategischen Kontext zu integrieren.

Praktisch bedeutet dies, dass Unternehmen im Gastgewerbe klare Regeln (Governance) dafür definieren sollten, wie KI in die Entscheidungsfindung einfliesst. Sie sollten in die Weiterbildung ihrer Teams investieren, damit diese maschinell generierte Erkenntnisse kritisch bewerten können, und Prozesse beibehalten, die eine menschliche Kontrolle gewährleisten. Die KI kann die strategische Arbeit beschleunigen, aber die Verantwortung für Entscheidungen und die strategische Ausrichtung muss bei den Entscheidungsträgern bleiben.
