Wolf-Thomas (Thommy) Karl, stv. Chefredaktor bei Hotel Inside, Publizist und Kommunikationsexperte im Hospitality-Bereich, spricht mit spannenden Persönlichkeiten aus der Welt der Hotellerie in der DACH-Region. Diesmal: Michaela Reitterer, Eigentümerin des Boutique-Hotel Stadthalle in Wien, Nachhaltigkeitspionierin, „grüne Vordenkerin“ und von 2013 bis 2022 Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV).
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Frau Reitterer, Sie haben mit dem Boutiquehotel Stadthalle das erste SDG-Null-Energie-Bilanz-Stadthotel der Welt geschaffen. Welche nachhaltigen Maßnahmen sollten Hoteliers Ihrer Meinung nach heute unbedingt umsetzen, um zukunftsfähig zu bleiben?
Egal, wo jeder beginnt – das Wichtigste ist, dass er oder sie mal beginnt! Die SDGs sind ein wunderbarer Ansatz dazu, denn sie zeigen sehr schön, dass man nicht direkt eine Photovoltaik-Anlage braucht, um sein Hotel nachhaltig zu führen. Es gibt noch 16 andere Möglichkeiten, damit zu starten. Und da sollte unsere Branche tatsächlich genauer hinschauen.
Nachhaltigkeit ist in der Hotellerie oft mit hohen Investitionskosten verbunden. Wie können Hotels – insbesondere kleinere Betriebe – wirtschaftlich sinnvoll nachhaltiger werden?
Genau das zeigen die SDGs! Beispielsweise mit einem sozialen Ziel beginnen oder vielleicht beim Gender Pay Gap nachzudenken, ob man den nicht eventuell eliminieren sollte. Das SDG 15 „Leben an Land“ inkludiert genauso den regionalen Einkauf von Lebensmitteln. Also einfach mal das hier in Angriff nehmen. Ich finde, die SDGs machen immer wieder Lust auf mehr…
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Viele Gäste fordern heute nachhaltige Angebote, aber sind sie auch bereit, dafür einen höheren Preis zu zahlen? Wie erleben Sie das in der Praxis?
Der Punkt ist doch auch, dass die Mitarbeitenden ebenfalls das Bewusstsein haben, dass für ein Bio-Genussfrühstück mehr verlangt werden darf als für ein konventionelles Frühstück. Somit kann ein nachhaltiges Angebot für Gäste durchaus sehr attraktiv sein. Selbstbewusstsein beim Verkaufen bringt auch bewusstere Gäste.
Welche Rolle spielen Politik und Förderprogramme bei der nachhaltigen Transformation der Hotelbranche? Sehen Sie hier genügend Unterstützung oder gibt es in Österreich bzw. Europa Nachholbedarf?
Ich glaube, die EU sollte sich bewusst machen, dass nachhaltiges Reisen gefördert werden sollte. Nicht nur, was die Hotels betrifft, sondern auch die Infrastruktur in den Destinationen und Leuchtturmprojekte. Das geschieht zwar zum Teil schon, jedoch ist es grundsätzlich ein Förderdschungel, der den Unternehmerinnen und Unternehmern viel Geduld sowie Zeit abverlangt. Nachhaltiger Tourismus ist die Zukunft unseres Kontinents und da gilt es bereits heute in die Gänge zu kommen, um das Morgen nicht zu verschlafen.
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Apropos Zukunft: Wie sieht für Sie das nachhaltige Hotel der nächsten Generation aus? Welche Innovationen oder Trends werden Ihrer Meinung nach den größten Einfluss haben?
Hier sind die Gäste total unterschiedlich. Das stellen wir immer wieder bei uns fest. Manchen ist die Regionalität das wichtigste, anderen wiederum der menschliche Service und unser großartiges Team – und andere interessieren sich am meisten für die Technik. Und genau so wird es auch sein – wir alle haben es in der Hand, unser eigenes Hotel für die Zukunft zu „shapen“. Wichtig ist nur, dass es authentisch ist und wir jeden Tag wissen, dass wir das richtige tun, weil es vor allem uns selbst wichtig ist. Nur dann schaffen wir es auch, unser gesamtes Team mitzunehmen. Nachhaltigkeit ist ein Prozess, kein Projekt. Das wird nie abgeschlossen sein, aber es ist eine faszinierende Reise in die Zukunft und die beginnt allerspätestens heute.
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Hintergründe zu Michaela Reitterer und zum Hotel Stadthalle Wien
Umweltbewusstsein – das ist es, was sich Michaela Reitterer (60), die Hotelbetreiberin des Boutique-Hotels Stadthalle in Wien auf die Fahne geschrieben hat – und was gleichgesinnte Gäste ansprechen und inspirieren soll. Das Hotel in unmittelbarer Nähe der Stadthalle ist das erste Null-Energie-Stadt-Hotel der Welt. Das heißt, es produziert ebenso viel Energie wie es auch verbraucht. Jedenfalls gilt das für den modernen Anbau, der das komplett renovierte Jahrhundertwendehaus ergänzt.
Möglich wird die Null-Energie-Bilanz durch mehrere energieerzeugende Maßnahmen und solche, die gar keine Energie in Anspruch nehmen. Für Strom und Warmwasser sorgen Solar- und Photovoltaik-Anlagen sowie eine Grundwasserwärmepumpe. Das vom Dach abgeleitete Regenwasser wird für die Bewässerung des Gartens, der mit Lavendel bewachsenen Gründächer und die Toilettenspülung verwendet. Geplant ist zudem die Installation von drei Windrädern auf dem Dach.
Das Boutique-Hotel Stadthalle zeichnet sich durch seine zentrale und doch ruhige Lage aus. Durch die Nähe zum Westbahnhof verkehrstechnisch hervorragend angebunden, bietet das Hotel seinen Gästen Ferien von Verkehrslärm und Abgasen, da es sich in einer wenig befahrenen Seitenstraße befindet. Ein großer mit Blumen bepflanzter Garten lädt die Gäste zum Verweilen ein, in welchem im Sommer auch Frühstück und Erfrischungsgetränke serviert werden.
Insgesamt verfügt das Hotel über 81 Zimmer, 38 davon befinden sich im neueröffneten Passivhaus, das durch eine gemütliche Lobby, einen großen Frühstücksraum mit Glasveranda und dem Garten mit dem Haupthaus verbunden ist. Viele der Zimmer bieten einen Ausblick auf den Innenhof des Hotels. Nicht nur Umweltbewusstsein, auch Barrierefreiheit und Familienfreundlichkeit werden im Boutique-Hotel Stadthalle großgeschrieben.
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Rund 4,8 Millionen Euro kostete der Um- und Anbau des Boutique-Hotels. Das großartige Engagement der Eigentümerin und Hoteldirektorin Michaela Reitterer hat sich bezahlt gemacht. Die Naturliebhaberin hat ein Hotel erschaffen, das verantwortungsvoll mit der Umwelt umgeht. «Sonne, Wind und Wasser sind kostenlos vorhanden – warum soll ich Öl kaufen? Da setze ich lieber auf Energieeffizienz und erneuerbare Energie», sagt Reitterer.
Das gesamte Hotel ist mit Leuchtdioden und Energiesparlampen ausgestattet. Gerade in einem Hotel mit vielen Lichtquellen kann man somit große Einsparungen erzielen. «Ich bin überzeugt, mit unserem Betrieb einen wichtigen Beitrag für den Klima- und Umweltschutz zu leisten», ist Michaela Reitterer überzeugt.
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Die zahlreichen Auszeichnungen geben Michaela Reitterer Recht: Das Boutique-Hotel Stadthalle wurde bereits mit dem Umweltzeichen der Republik Österreich und als erstes Hotel in Wien mit dem EU-Umweltzeichen ausgezeichnet. Später reihten sich noch der Umweltpreis der Stadt Wien, der Staatspreis für Tourismus sowie der Monika Polster Sonderpreis der ÖGUT für ausgezeichnetes Umweltengagement in den Auszeichnungsreigen ein.
Wer ist Michaela Reitterer?
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Michaela Reitterer, geboren 1964 in Wien, übernahm nach diversen Stationen im Tourismussektor 2001 das elterliche “Hotel zur Stadthalle”, welches sie 2002 zum “Boutique-Hotel Stadthalle” erweiterte. 2009 war dies das erste Stadthotel weltweit mit einer Null-Energie-Bilanz. Nachhaltiges Qualitätsmanagement, Innovation und eine moderne Fachkräfteausbildung liegen der leidenschaftlichen Unternehmerin besonders am Herzen. Michaela Reitterer war Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) und Vorstandsmitglied von respACT, Österreichs führender Unternehmensplattform für Wirtschaft. Für ihre besonderen Verdienste für Nachhaltigkeit im Tourismus wurde sie mit dem Silbernen Ehrenzeichen der Republik Österreich, dem Green Hotelier Award Europa, den Certificates of Excellence sowie dem Österreichischen Klimaschutzpreis des ORF ausgezeichnet.
Boutiquehotel Stadthalle in Kürze
Das Boutiquehotel Stadthalle liegt im 15. Wiener Gemeindebezirk Rudolfsheim-Fünfhaus. Als „weltweit erstes Stadthotel mit Null-Energie-Bilanz“ wurde es mit dem EU-Umweltzeichen sowie mit dem Österreichischen Umweltzeichen ausgezeichnet.
Das Stammhaus des Wiener Hotels wurde 2009 um einen Passivhausanbau mit einer Null-Energie-Bilanz erweitert. Der neue Teil des Hotels wurde als ein eigener Baukörper ausgebildet. Die beiden Gebäude sind lediglich im Keller und im Erdgeschoß miteinander verbunden. Kontrolliertes Heizen und Kühlen erfolgen dank einer Betonkernaktivierung: In den Massivdecken und Wänden wurden Kunststoffrohre verlegt, durch die das Energieträgermedium Wasser zirkuliert. Ein hauseigener Grundwasserbrunnen liefert einerseits die Kühlenergie und versorgt zusätzlich die Wärmepumpenanlage. Mit dieser wird die Energie für die Heizungs- und Lüftungsanlage erzeugt.
Mit Solarpaneelen wird die Energie für heißes Wasser erzeugt. Die 93 m2 großen Photovoltaikanlage liefert den Strom. Das Regenwasser wird gesammelt und zur Bewässerung des Gartens verwendet. Es dient zudem als Spülwasser für die Toiletten im Hotel.
2020 hat sich das Hotel einem weiteren Projekt gewidmet, und gestaltete 17 Zimmer im Zeichen der sieben Sustainable Development Goals der UNO um. Dabei soll nachhaltiger Entwicklung Raum gegeben und Bewusstsein in der Tourismusbranche geschaffen werden. Das Hotel verwendet ausschließlich Produkte aus biologischer Herstellung und trägt zur Wiener Honigproduktion mit eigenen Bienenstöcken bei.
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Bildlegende Hauptfoto: Nachhaltigkeitspionierin Michaela Reitterer.