Cäsar Ritz, Johannes Badrutt, Alexander Seiler. Sie waren Hotelpioniere und haben die Geschichte der Schweizer Hotellerie massgeblich beeinflusst. Jetzt hat der Ur-Enkel des Hotelgründers Alexander Seiler (1819 bis 1891) ein Buch verfasst: «Die Seiler-Saga. Eine Hoteliersfamilie prägt den Tourismus im Oberwallis». Hotel Inside wollte von Stephan Seiler wissen: Was steckt hinter der Seiler-Hotel-Dynastie?
Der gelernte Seifensieder Alexander Seiler aus Blitzingen im Goms pachtete im Jahr 1852 auf Anraten seines Bruders die einzige kleine Herberge im Bergbauerndorf Zermatt. Zwei Jahre später kaufte er das Gasthaus mit zwölf Betten und legte damit den Grundstein für ein späteres Hotelimperium, das bei Seilers Tod im Jahr 1891 bereits neun Hotels mit über 1000 Betten und 700 Angestellten umfasste. Trotz des grossen Erfolgs war der auswärtige Emporkömmling im Dorf Zermatt umstritten. Die Gemeinde verweigerte ihm in einem jahrelangen Rechtsstreit das Zermatter Burgerrecht. Seine drei Söhne Joseph, Alexander und Hermann bauten das Familienunternehmen weiter aus, bis es um 1908, in der Blütezeit der Belle Époque, mit fast 1700 Betten seinen grössten Umfang erreichte. Es überstand beide Weltkriege und verschiedene Wirtschaftskrisen.
Hotel Inside sprach mit Stephan Seiler, dem Ur-Enkel des Hotelpioniers Alexander Seiler, über die 170-jährige Saga der Seilers und ihrer renommierten Hotelgesellschaft bis zum Verkauf des Familienbetriebs im Jahr 2021.
Stephan Seiler, warum sollte ein an der Hotellerie interessierter Mensch das soeben erschienene Buch „Die Seiler Saga“ lesen?
Nun, das Buch «Die Seiler Saga» beleuchtet die faszinierende, 170-jährige Geschichte der Hoteliersfamilie Seiler, welche ab 1855 eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Hotellerie und des Tourismus im Oberwallis spielte. Das Hotelgründer-Ehepaar Alexander und Catharina Seiler, sowie auch deren Nachkommen in zweiter und dritter Generation, gelten heute noch als Schlüsselfiguren für die damalige Entwicklung des Schweizer Fremdenverkehrs, insbesondere des alpinen Tourismus.
Was heisst «Schlüsselfiguren»?
Die «Seilers» verstanden es früh, wie wichtig es war, Inrastruktur und Service auf die Bedürfnisse eines anspruchsvollen internationalen Publikums auszurichten. Der Hotelgründer Alexander Seiler selbst war mehr als nur ein Hotelier – er war ein Visionär, der auch die Entwicklung des helvetischen Tourismus entscheidend mitgeprägt hat. Er hat Zermatt und das Wallis nachhaltig auf der Weltkarte des Tourismus verankert. Dabei erhielt er nicht immer nur Zustimmung, denn ein Teil der früher noch stark bäuerlich geprägten Bergregionen begegnete dem Emporkömmling zeitlebens argwöhnisch und legte ihm zuweilen auch grosse Stolpersteine in den Weg.
Apropos Stolpersteine: Die Geschichte der Seilers war auch geprägt durch Krisen, Katastrophen und Kriege.
Richtig. Die Geschichte zeigt auch, wie die Familie Seiler grosse Herausforderungen wie Weltkriege, wirtschaftliche Krisen und andere Katastrophen meisterte und dennoch eine beeindruckende Erfolgsgeschichte schrieb.
Sie haben jetzt ein Buch verfasst, das erste Werk, das die Geschichte dieser Walliser Hotel-Dynastie vollumfänglich dokumentiert. Eine Familienchronik…
Nein, das Buch ist nicht nur eine Familienchronik, sondern auch ein interessanter Lesestoff für alle, die sich für die Verbindung von Geschichte, Unternehmertum und Gastfreundschaft interessieren. Das Buch berichtet zudem von weiteren äußerst spannenden Geschichten, an denen die Familie Seiler direkt beteiligt war. Dazu gehören die Gründung des «Türkenbundes», der ältesten Fastnachtsgesellschaft des Wallis im Jahr 1902, der spektakuläre Ballonflug von Spelterini über die Hochalpen im Jahr 1903, Geo Chavez’ erster motorisierter Flug von Brig nach Domodossola im Jahr 1910 sowie die Umstände, unter denen der Rhonegletscher mit seinem gesamten Umland, das 3700 Hektaren umfasst, als größter privater Landbesitz der Schweiz in den Besitz der Familie Seiler kam.
Warum eigentlich haben Sie so ein Buch verfasst?
Als im Jahr 2014 meine Tante Rosemarie Seiler, die letzte Enkelin des Hotelgründers Alexander Seiler, in Brig verstarb, hinterliess sie einige Kartonschachteln, in denen sich zahlreiche Briefe und andere persönliche Dokumente befanden, die das Leben des Hotelgründers und seiner Familie im 19. Jahrhundert dokumentieren. Obwohl bereits vieles über die Familie Seiler und deren Hotels geschrieben wurde, fehlte eine umfassendere Chronik/Biografie. Ich beschloss deshalb 2015 «etwas zusammenzustellen», hatte aber nicht die Absicht, es tatsächlich auch zu veröffentlichen. Es folgten jahrelange Recherchen in verschiedensten Archiven und ich stiess dabei immer wieder auf wenig bekannte oder schon längst vergessene, interessante Details.
Sie haben mehr als zehn Jahre an diesem hervorragenden Buch gearbeitet, Texte verfasst und redigiert, Bilder organisiert, in Archiven „gewühlt“. Wie sind Sie später auf die Idee gekommen, ein Buch unter dem Titel «Die Seiler-Saga» herauszugeben?
Durch den definitiven Verkauf der Seiler Hotels Zermatt AG an die Aevis Viktoria/Reybier-Gruppe im Jahr 2021 endete eine bewegte Familiengeschichte, die 170 Jahre andauerte. Es schien mir daher der richtige Moment gekommen, die Hotelpioniere Seiler für ihren Beitrag zur Entwicklung des Tourismus im Wallis und insbesondere von Zermatt noch einmal angemessen zu würdigen und sie einem breiteren Publikum, und auch jüngeren Generationen, bekannt zu machen.
Alexander Seiler war im 19. Jahrhundert zweifellos ein Hotel- und Tourismuspionier. Wie würden Sie sein „Werk“ aus heutiger Sicht beurteilen?
Alexander Seiler erkannte als einer der ersten Schweizer das grosse Potenzial des alpinen Tourismus in einer Zeit, als Zermatt noch ein fast unbekanntes, weit abgelegenes Bauerndorf war. Seine Fähigkeit, die Schönheit und Faszination der Alpen weltweit bekannt zu machen, zeigt seinen visionären Geist. Aus heutiger Sicht legte er den Grundstein für die moderne Tourismuswirtschaft, die auf internationaler Attraktivität basiert. Alexander Seiler trug dazu bei, den Kanton Wallis schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als erstklassiges Reiseziel zu etablieren. Er zeigte, wie die Kombination aus natürlicher Schönheit, hochwertigem Service, Gastfreundschaft und kultureller Authentizität ein attraktives Angebot schaffen kann. Dieses Modell prägt bis heute die Schweizer Tourismusstrategie.
Kann man sagen: Ohne Alexander Seiler und die Seiler-Hotels würde der Tourismus in Zermatt heute anders aussehen.
Auch ohne Alexander Seiler wäre Zermatt mit Sicherheit zu einer internationalen Tourismus-Destination geworden, jedoch möglicherweise etwas später oder mit einem anderen Charakter. Es gab auch damals schon andere Unternehmer und Einheimische, die zur Entwicklung von Zermatt beitrugen, so wie die lokalen Bergführer. Diese hätten die touristische Entwicklung irgendwann selbst in die Hand genommen, wenn Seiler nicht schon vorher aktiv geworden wäre. Seilers Vision, unternehmerische Fähigkeiten und Einfluss trugen dennoch entscheidend dazu bei, dass Zermatt so früh und so erfolgreich international bekannt wurde. Sein Beitrag war mehr als nur „zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein“ – er formte aktiv die Zukunft und das Bild des Dorfes.
Welchen Einfluss hatte die Familie Seiler in der Zeitspanne 1900 bis 2021 auf die touristische Entwicklung in Zermatt?
Die Familie Seiler hatte auch im 20. Jahrhundert einen enormen Einfluss auf die touristische Entwicklung Zermatts. Als eine der prägendsten Dynastien im Schweizer Tourismus setzte auch die zweite Generation neue Maßstäbe für gehobene Gastfreundschaft. Durch die kontinuierliche Modernisierung und Erweiterung ihrer Hotelbetriebe sorgte die Familie dafür, dass Zermatt für eine anspruchsvolle internationale Kundschaft immer attraktiver wurde. Ein besonderes Anliegen der Familie war die Etablierung der Wintersaison, ein Traum, den bereits Alexander Seiler Senior hegte. Schon 1862 – also drei Jahre vor Johannes Badrutt in St. Moritz – öffnete er sein Hotel Monte Rosa erstmals für einzelne Wintergäste und erkannte somit sehr früh das Potenzial eines möglichen Wintertourismus in Zermatt. Es dauerte jedoch weitere 66 Jahre, bis sein jüngster Sohn Hermann 1928 endlich die erste offizielle Zermatter Wintersaison realisieren konnte. Mit seinem Pioniergeist und dem konsequenten Ausbau der erforderlichen Infrastruktur legte Hermann Seiler den Grundstein für Zermatts heutige Stellung als eine der weltweit führenden Destinationen für Wintertourismus.
Sie schreiben im Buch auch von „Schicksalsschlägen und anderen Tragödien“, vor allem in der Zeit von 1930 bis 1980. Was meinen Sie damit?
Der Erste Weltkrieg, die grosse Wirtschaftskrise der frühen 1930er-Jahre und dann der Zweite Weltkrieg stellten nicht nur die Seiler Hotels, sondern den ganzen Tourismussektor in der Schweiz auf eine harte Probe. Während dreier Jahrzehnte war eine gesunde Entwicklung in der Hotellerie praktisch unmöglich. Es konnten kaum Abschreibungen und fast keine neuen Investitionen getätigt werden. Viele Aktionäre mussten grosse finanzielle Opfer bringen oder verloren sogar ihr gesamtes Kapital. So nahmen auch die Seiler Hotels in den Jahren 1921, 1934, 1942 und 1947 vier sehr schmerzhafte Finanzsanierungen vor. Die Aktienwerte erreichten im Jahr 1942 ihren Tiefpunkt und blieben über Jahrzehnte hinweg ohne Dividenden. Die Stammaktien fielen sogar auf einen symbolischen Wert von nur einem Franken. Ausserdem traf ein folgenschweres Ereignis das Familienunternehmen in der Nacht vom 15. zum 16. Februar 1961.
Was ist passiert?
Das grosse Seiler Hotel Riffelalp fiel innerhalb von nur 120 Minuten den Flammen zum Opfer – und es brannte bis auf die Grundmauern nieder. 1963 wurde Zermatt noch von einer anderen Tragödie heimgesucht: Mitten in der Hochsaison brach eine Typhus-Epidemie aus, die im Dorf über 400 Infektionen und sogar drei Todesfälle forderte. Die Behörden verfügten die sofortige Schliessung sämtlicher Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen, sodass fast 10 000 Gäste den Ort fluchtartig verlassen mussten. Weiteres Ungemach drohte den Seiler Hotels ausgerechnet durch den von Alexander Seiler Junior 1907 gegründeten Zermatter Kurverein, der die 17 000 Quadratmeter grosse, unbebaute Seilerwiese «Obere Matten» zwischen den Hotels Victoria und Mont Cervin für die Errichtung eines öffentlichen Sportzentrums mit grossem Schwimmbad zu einem «Spottpreis» erwerben wollte. Der Kurverein drohte offen mit einem Enteignungsverfahren und schritt in diesem Sinne auch zur Tat.
Das Verhältnis zwischen der Familie Seiler und der mächtigen Burgergemeinde Zermatt war oft angespannt und von Konflikten geprägt. Warum?
Das Verhältnis zwischen der Familie Seiler und der einflussreichen Burgergemeinde Zermatt war von Anbeginn kompliziert und von mehreren Konflikten geprägt. Die Ursachen lagen in unterschiedlichen Interessen und Perspektiven auf die Entwicklung des Ortes sowie in Fragen von Macht und Besitz.
Aber um was ging es konkret?
Im Zentrum des Streits standen Landnutzungsrechte, wirtschaftliche Ziele und kulturelle Differenzen zwischen den traditionsbewussten Burgern und Alexander Seiler, einem Hotelier, der sein Leben lang in Zermatt als «Fremder» wahrgenommen wurde, obwohl er ebenfalls aus dem Oberwallis stammte. Seilers Vieh, das er vom Tal hinauftreiben liess, wurde in Zermatt mit hohen Weidesteuern belegt. Auch verweigerte man ihm über Jahre hinweg den Zugang zu gemeindeeigenem Baumaterial und Brennholz, und er musste es sich grösstenteils auswärts beschaffen. Während viele Burger weiterhin in der Landwirtschaft oder als Bergführer tätig waren, zog Seiler großen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Tourismus, was auch soziale und wirtschaftliche Ungleichheit schuf. Diese Kluft zwischen den alteingesessenen Einwohnern und dem innovativen Hotelier führte gezwungenermassen zu Konflikten, welche im legendären Streit um das Zermatter Burgerrecht gipfelte. Der Streit dauerte 18 Jahre und beschäftigte nicht nur die allerhöchsten Instanzen der Justiz, sondern auch die kantonalen und nationalen Behörden wie die Kantonsregierung, Nationalrat, Ständerat und sogar den Bundesrat.
2011 ging die 170-jährige Seiler-Familientradition zu Ende. Christian Seiler trat aus dem Verwaltungsrat zurück. Die Anteile der Seilers gingen 2007 an die Jelmoli Holding AG, und etwas später an die Crédit Suisse. 2012 ging der Hotelbetrieb zurück an die Seilers. Vier Jahre später erwarb jedoch die Avis Victoria-Gruppe die Seiler Hotels Zermatt AG inklusive Immobilien. André Seiler, Sohn von Christian Seiler, war der erste und letzte Vertreter in der fünften Generation. Seit 2022 werden die Hotels von der Michel Reybier Hospitality geführt. Warum haben die Seilers ihre Hotels verkauft?
Die Seiler Hotels Zermatt wurden schon 1908 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, was mit sich bringt, dass Aktien nicht nur innerhalb der Familie gekauft und/oder verkauft werden können. Nachfolge- und Erbüberlegungen der verschiedenen Hauptaktionäre innerhalb der Familie spielten beim Verkauf ihrer Mehrheitsanteile bestimmt auch eine gewisse Rolle.
Sie sind ein Urenkel des Hotelgründers, haben u.a. die Hotelfachschule Lausanne (EHL) absolviert und in verschiedenen Hotels in Zürich, Bern und Südamerika gearbeitet, u.a. für die damalige Caspar Manz CEM-Hotelgruppe in Brasilien und Ecuador. Heute organisieren Sie internationale Ärztekongresse. Warum sind Sie nicht mehr als Hotelier oder Hotelmanager aktiv?
Zwischen 1981 und 1999 war ich in der operativen Hotellerie sowohl in der Schweiz als auch in Südamerika tätig. Nach meiner Rückkehr wurde mir eine leitende Position bei der Kempinski-Gruppe in Deutschland angeboten, die jedoch im letzten Moment nicht zustande kam. Seit dem Jahr 2000 arbeite ich als Kongressorganisator im internationalen Bereich, wobei die meisten Veranstaltungen in großen Hotels stattfinden. Auf diese Weise bleibe ich eng mit der Hotellerie verbunden, allerdings nun aus der Perspektive eines Kunden, da ich für jeden Kongress zwischen 500 und 2000 Übernachtungen sowie auch die erforderliche Verpflegung buche und dabei auch grosse Festanlässe organisiere.
Stephan Seiler, vielen Dank für das Interview!
Zeitungsinserat aus dem Jahr 1859.
Wer ist Stephan Seiler?
Stephan Seiler, ein Urenkel des Hotelgründers, wurde 1960 in St. Gallen geboren. Gymnasium Stella Matutina in Feldkirch und St. Antonius in Appenzell, 1981–1984 Hotelfachschule Lausanne. Nach verschiedenen Stationen in der gehobenen Hotellerie in Zürich und in Bern, zog es ihn 1986 in die Ferne nach Südamerika, wo er in Brasilien und Ecuador für die Schweizer Caspar Manz-CEM-Gruppe, und später auch für andere renommierte Luxushotels tätig war. Seit seiner Rückkehr in die Schweiz im Jahr 1999 ist er verantwortlich für die Verwaltung von medizinischen Fachgesellschaften und für die Organisation von zahlreichen Ärztekongressen im In- und Ausland. Stephan Seiler ist verheiratet und Vater eines Sohnes. Er wohnt in Wetzikon (Zürich).
DIE SEILER-SAGA
Eine Hoteliersfamilie prägt den Tourismus im Oberwallis
Stephan Seiler ist ein Urenkel des Hotelgründers Alexander Seiler. Anschaulich erzählt Seiler die 170 Jahre dauernde Saga der Seilers und ihrer renommierten Hotelgesellschaft bis zum Verkauf des Familienbetriebs im Jahr 2021. Das Buch ist im Verlag «Hier & Jetzt» erschienen. Im Buchhandel erhältlich oder direkt über den Verlag:
2024, 352 Seiten
390 farbige und sw-Abbildungen
gebunden
21 × 27.5 cm
978-3-03919-606-7
CHF 59.00
www.hierundjetzt.ch
Bildlegende Hauptfoto: Alexander Seiler mit seiner Familie.