Roman Signer, Peter Fischli und David Weiss? Nie gehört? Das sind drei berühmte zeitgenössische Schweizer Künstler. Wer im Hotel Castell in Zuoz absteigt, wird zwangsläufig mit diesen und anderen Namen der modernen Kunst-Elite konfrontiert. Denn das Castell ist kein „normales“ Ferienhotel – es ist ein einzigartiges Haus, wo der Gast in fast jeder Ecke mit moderner, oft auch provokativer Kunst konfrontiert wird.
Hotel Inside-Journalist Hans R. Amrein weilte im September an einem «Artweekend» im Hotel Castell und sprach mit den Gastgebern Christine Abel und Matthias Wettstein. Das Video-Gespräch fand bei einem Rundgang durchs Hotel statt. Dabei erzählten die Gastgeber spannende Kunst- und Hotelgeschichten:
Abel & Wettstein: Wer sind die Gastgeber?
Bis April 2022 führten Irene und Martin Müller (früher u.a. Parkhotel Bellevue Adelboden) das Hotel Castell in Zuoz. Seither sind Christina Abel und Matthias Wettstein die Direktoren und Gastgeber des „Kunsthauses“ im Engadin. Das Direktionspaar blickt auf langjährige und internationale Erfahrungen in der Hotellerie zurück. Zuletzt verantworteten sie gemeinsam die operative Führung des Sorell Hotels Tamina in Bad Ragaz. Davor leiteten sie erfolgreich über mehrere Jahre das Maiensässhotel Guarda Val auf der Lenzerheide.
Die Hotel-Geschichte
Das Hotel Castell in Zuoz wurde 1912/13 von Hermann Gilli, einem Hotelier und Weinhändler aus Zuoz, nach den Plänen des bekannten St. Moritzer Architekten Nicolaus Hartmann gebaut. Es wurde als Kurhaus konzipiert und verfügte über modern eingerichtete Therapieräume.
Kaum eröffnet, brach der 1. Weltkrieg aus und das hoch über Zuoz thronende Castell erlebte seine erste grosse Krise. Erst 1923 stieg die Nachfrage wieder an. Es folgte die erste grosse Blütezeit. Bekannte Persönlichkeiten wie der deutsche Kronprinz mit Familie, Lord Templewood und die Schriftsteller Stefan Zweig sowie Arthur Schnitzler gehörten zu den illustren Gästen. Das Hotel Castell erlebte seine Glanzzeit und galt neben anderen bekannten Hotels in jener Zeit wie dem Kulm in St. Moritz oder dem Waldhaus in Sils als eines der führenden Häuser im Engadin.
Giacomo Andrea Gilli trat die Nachfolge seines Vaters an, baute das erste elektrisch beheizte Freibad im Kanton Graubünden und liess zahlreiche Wanderwege rund um das Castell anlegen. Alles schien auf bestem Wege, als die Weltwirtschaftskrise und der New Yorker Börsencrash 1929 alle Pläne zunichte machten. Als 1939 der 2. Weltkrieg ausbrach, musste die Familie Gilli das Hotel schliessen und war gezwungen es zu verkaufen. 1955 ging das Castell in den Besitz des Migros-Genossenschafts-Bundes über. 1961 fiel der gesamte Dachstock mit dem charakteristischen Zwiebelturm einem Brand zum Opfer. Bald darauf wurde das Haus als Clubhotel an Hotelplan abgetreten. Als Clubhotel erlebte es ab 1968 eine zweite Glanzzeit und 1971 den Höhepunkt mit einer durchschnittlichen Belegung von 100 Prozent. Das Hotel war durch seine Lage und Infrastruktur ein beliebtes Ziel für Familienferien. Diese erfolgreichen Jahre dauerten bis zur Ölkrise 1973 an.
1983 wurde das Castell von der im internationalen Reisegeschäft tätigen Migros-Tochter Horizonte gekauft und für 3,5 Mio. Franken renoviert. Diese für die Zeit der 70er- und frühen 80er-Jahre typische Renovation führte zu einer Veränderung des ursprünglichen Aussehens und einer Verkleinerung aller Zimmer. Nur die Gesellschaftsräume (Speisesaal, Halle, Eingangsbereich, Damensalon) blieben bis heute im ursprünglichen Stil erhalten.
Neuere Hotel-Geschichte
1989 wurde das Castell an Lukas Kunz aus Bilten verkauft. Und 1996 erwarb die Castell Zuoz AG mit Ruedi Bechtler als Hauptaktionär das Hotel. Die neuen Besitzer begannen, Visionen und Konzepte für eine erfolgreiche Zukunft des Hotels zu entwickeln. Bald begann die Planung der direkt neben dem Hotel entstehenden Chesa Chastlatsch, ein Neubau mit 17 modernen Eigentumswohnungen. Die Verhandlungen mit der Gemeinde Zuoz zwecks Umzonung in Bauland beanspruchten vier Jahre. Der Bau wurde schliesslich im Interesse der dringend notwendigen Sanierung des Hotels unter der Auflage bewilligt, dass der Erlös des Wohnungsverkaufs 1:1 in den Umbau des Hotels fliessen müsse. Später wurde das gesamte Projekt, sowohl die Erstellung der Chesa Chastlatsch als auch die Renovation des Hotels, auf allen Ebenen bewilligt.
Direkt neben dem Hotel sind luxuriöse, loftartige Eigentumswohnungen mit Hotelservice entstanden. Die Architektur stammt von den holländischen Stararchitekten Ben van Berkel und Caroline Bos.
Die Architektur
Die Architektur des Hotel Castell wird von vier Architekten geprägt. Nicolaus Hartmann setzte im Jahr 1912/13 den Grundstein mit dem markanten Turm. Der Umbau 2004 wird durch das UN Studio Amsterdam (Chesa Chastlatsch, Hamam, die Hälfte der Zimmer) und das Architekturbüro Ruch St. Moritz (die Hälfte der Zimmer) geprägt. Einen zusätzlichen Farbtupfer setzen die Architektin Gabrielle Hächler und die Künstlerin Pipilotti Rist im Jahr 1998 mit ihrer «Roten Bar» sowie Gabrielle Hächler zusammen mit Andreas Fuhrimann durch die sanfte Erneuerung der Bar-Lounch, des Damensalons und (2013) des Speisesaals Belvair.
Kunst im Castell
Im Hotel Castell wird die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst angeregt. Der Gast begegnet den im Hotel ausgestellten Kunstwerken (Bilder, Installationen und Aktionen) und den Künstlerprojekten der Walter A. Bechtler Stiftung und wird so irritiert, erfreut oder neugierig gemacht. Die Werke wurden dem Hotel von Hauptaktionär Ruedi Bechtler als Leihgabe zur Verfügung gestellt. In enger Zusammenarbeit mit den Künstlern werden Installationen und Aktionen realisiert. Namhafte Künstler wie Roman Signer, Pipilotti Rist, Peter Fischli & David Weiss, Carsten Höller, Martin Kippenberger und viele mehr sind im Castell mit ihren Werken vertreten. Diese können frei besichtigt werden.
„Die bildende Kunst wächst im Hotel Castell zum lebendigen integrierten Element. Die im Hotel ausgestellten Werke erheben Anspruch an einen professionellen Umgang mit der Thematik Kunst auf allen Ebenen. Sie fördern das Gespräch über die Kunst bei den Gästen und schaffen ein unvergleichliches Ambiente im Hotel“, schreibt das Hotel in einer Gäste-Broschüre.
Ruedi Bechtler, Künstler, Sammler und Hotelinhaber
Ruedi Bechtler wurde 1942 in Zürich geboren, wo er auch heute lebt und arbeitet. Er wuchs mit seinen Geschwistern Katrin und Thomas in Zollikon bei Zürich auf. 1968 schloss er an der ETH Zürich die Ausbildung als Maschineningenieur ab, 1969 folgte der MBA am Insead in Fontainebleau (F). Von 1969 bis 1972 lebte Bechtler in den USA und arbeitete als Marketing- und Produktplaner bei Allis-Chalmers. Danach kehrte er in die Schweiz zurück und stieg ins elterliche Unternehmen Luwa AG ein.
Sowohl Bechtlers Vater Walter Bechtler wie auch sein Onkel Hans Bechtler waren international agierende Unternehmer und begeisterte Kunstsammler. Häufig verkehrten Künstler in Bechtlers Elternhaus und so nahm die ganze Familie Anteil am damaligen Kunstgeschehen. Ruedi Bechtler seinerseits war seit seiner Kindheit gestalterisch aktiv. Während seines Aufenthaltes in den USA intensivierte sich Bechtlers Interesse für Kunst und er beschloss eine Laufbahn als Künstler einzuschlagen. 1973 bis 1974 besuchte er Kurse an der Kunstgewerbeschule Zürich (heute ZHdK) sowie Abendkurse an der unabhängigen F+F Schule für experimentelle Gestaltung.
1974 initiierte er mit einer Gruppe Gleichgesinnter ein Atelier- und Aktionszentrum in der ehemaligen Spinnerei Wettingen und richtete sich dort selbst ein Atelier ein. Die interdisziplinär zusammengesetzte Gruppe war in der Folge sehr aktiv und sprach ein grosses Publikum an. 1975 führte der Künstler Roman Signer auf Einladung von Bechtler vor der Spinnerei eine künstlerische Sprengung in der Limmat durch. In der Spinnerei präsentierte Bechtler – wie später auch Liliane Csuka oder Beat Zoderer – seine erste Einzelausstellung (1975).
Bechtler beteiligte sich an Ausstellungen im Kunsthaus Zürich (1975, 1976, 1979), im Kunstgewerbemuseum (heute Museum für Gestaltung) Zürich (1978) und am Künstlerhaus am Karlsplatz in Wien (1978). 1976 erhielt Bechtler für seine künstlerische Arbeit das Eidgenössische Stipendium für Kunst. Von 1978 bis 1980 unterrichtete Bechtler an der F+F Schule und war von 1981 bis 1997 in deren Vorstand aktiv.
Die künstlerischen Arbeiten von Bechtler ab 1974 waren interaktiv angelegt, als Aufgabenstellungen oder Installationen mit Publikumsbeteiligung, so das Neon-Objekt (1976) mit einer zu zersplitternden Neonröhre oder Sich gegenseitig in die Augen sehen (1978) als Foto-Aktion. Sensitizer II (1977) als Fragebogen mit über 300 Fragen wurde 1979 an einem Fest in der Spinnerei Wettingen diskutiert. Ab 1980 arbeitete Bechtler stärker materiell, etwa mit Tuschzeichnungen, einige davon grossformatig mit Sperrholz reproduziert (Holzzeichen, 1985 bis 1992). Aus Papier schnitt er dreidimensionale Paper cut-outs (auch: Papierobjekte, 1983–1985). Lochfolien und Fotografien fügte er zu Bildüberlagerungen und Installationen (ab 1990) und Lichtobjekten (ab 2000). Für Installationen benutzte er auch Glastische oder Zimmerpflanzen oder konzipierte sie als Brunnen. Die Fotografie bleibt in seinem Werk zentral, dabei greift er auf sein thematisches Archiv eigener Fotografien und gesammelter Postkarten zurück. In der Bildserie Spiegelungen (auch Reflexionen, seit 1987) sind sich diese gegenübergestellt, eines davon auf dem Kopf stehend. Fotografien zum Zerfall («Entropie») zeigt er in Foto-Leuchtkästen (Can, seit 2005).
1979 lernte er Regula Kunz kennen, mit der er seit 1984 verheiratet ist. Sie haben drei Kinder: Tim (*1984), Noa (*1986) und Salome (*1992). Regula Kunz stammt aus einer Fleisch- und Metzgerdynastie.
Seit 1980 ist Bechtler im Stiftungsrat in der 1965 gegründeten Alberto-Giacometti-Stiftung, die am Kunsthaus Zürich angesiedelt ist. 1984 trat Bechtler in den Vorstand der 1955 gegründeten Walter A. Bechtler Stiftung ein und ist seit 1995 ihr Präsident. Die Stiftung realisiert Kunstwerke im öffentlichen Raum. Von 1988 bis 1997 amtete er als Präsident der Gruppe «Junge Kunst» der «Vereinigung Zürcher Kunstfreunde am Kunsthaus Zürich». Weiter beteiligte er sich am Aufbau der Sammlung für konzeptionelle Fotografie der Zellweger Luwa in Uster. 1999 gründete er in Zuoz die «Rätische Akademie», deren Präsident er bis 2001 war und initiierte Art Public Plaiv, mit Kunstwerken im öffentlichen Raum im Oberengadin.
Bechtler zeigte seit 1983 zahlreiche Einzelausstellungen in Galerien in Zürich, Bern und New York und beteiligte sich an Ausstellungen in London (1983), München (1992, 2010), Lugano (1995), Berlin (2003) und Seoul (2003). Ein grösserer Werküberblick wurde 2015 in der Ausstellung Silber im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil gezeigt. Nach der Werkschau im Künstlerbuch Flip Flop (JRP Ringier, 2010) findet sich eine retrospektive Übersicht zu seinem Werk in der Monografie Ruedi Bechtler – Zeitreise auf dem Kopf (Scheidegger & Spiess, 2022).
Seit 1996 ist Bechtler Besitzer des Hotels «Castell» in Zuoz und realisiert dort Veranstaltungen zu Gegenwartskunst und Architektur. Auch gibt er Werke in Auftrag: Tadashi Kawamata baute das alte Felsenbad wieder neu auf (1997), Pipilotti Rist und Gabrielle Hächler realisierten die Rote Bar (1998), James Turrell realisierte den Skyspace Piz Uter (2005). Weitere Werke aus der Sammlung von Bechtler im Hotel sind von Martin Kippenberger, Mickry 3, Mai-Thu Perret, Roman Signer, Fischli/Weiss, Lawrence Weiner, Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger, Simon Starling, Carsten Höllerund Andrea Büttner.
Hotel Inside-Journalist Hans R. Amrein sprach mit Künstler, Sammler und Hotelinhaber Ruedi Bechtler (82) über seine Kunstsammlung im Hotel und die Frage: Kann man mit einem Kunsthotel überhaupt Geld verdienen?
[embedded content]
Die Bechtler-Kunststiftung
Der Unternehmer Walter A. Bechtler (1905 bis 1994) gründete im Jahr 1955 die nach ihm benannte Stiftung. Er war sein Leben lang der zeitgenössischen bildenden Kunst verbunden und engagierte sich als Sammler und als Mitglied verschiedener Gremien des Kunsthauses Zürich. So initiierte er zum Beispiel mit seinem Bruder Hans Bechtler die Alberto Giacometti-Stiftung, welche im Kunsthaus Zürich die weltweit grösste Sammlung von Werken Alberto Giacomettis beherbergt.
Die Pflege der Kunst im öffentlichen Raum war ihm ein besonderes Anliegen, und dazu gehörten immer auch Werke von internationaler Bedeutung. So stiftete er der Gemeinde Zollikon, seinem fast lebenslangen Wohnsitz, im Namen der Stiftung als eines der ersten Werke eine Skulptur von Henry Moore.
Nach dem Tod Walter A. Bechtlers entwickelten Ruedi Bechtler als Präsident und Thomas Bechtler als Mitglied des Stiftungsrates die Stiftung weiter und überliessen verschiedenen Museen auch grössere, komplexere Werke als Dauerleihgaben. Heute pflegt die Stiftung die Zusammenarbeit mit verschiedenen Museen, beispielsweise mit dem Kunsthaus Zürich, dem Kunstmuseum St. Gallen, dem Aargauer Kunsthaus und dem Musée cantonal des Beaux-Arts. Weitere Schwerpunktstandorte von Werken der Stiftung sind das Zellweger Areal in Uster sowie im Engadin die Umgebung des Hotels Castell, das im Besitz von Ruedi Bechtler ist.
Bildlegende Hauptfoto: Kunsthotel Castell im Herbst.