Accor, der größte Hotelkonzern Europas, hat einen zehnjährigen Transformationsprozess hinter sich. Wie sieht nun die Zukunft des Hotelriesen aus, der in der Schweiz knapp 100 Hotels (Mercure, Novotel, Ibis) betreibt? ahgz-Chefredaktor Rolf Westermann führte ein Gespräch mit dem stellvertretenden CEO von Accor, Jean-Jacques Morin. Hotel Inside publiziert Auszüge aus dem Interview:
Herr Morin, wie geht es Accor?
Jean-Jacques Morin: In den vergangenen zehn Jahren hatten wir eine signifikante Transformation. Das betraf unter anderem das Businessmodell, die Marken und das Loyaltyprogramm sowie die Aufteilung in die beiden Divisions „Premium, Midscale & Economy“ sowie „Luxury & Lifestyle“. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir nicht mehr so viel transformieren müssen. Nun geht es darum, nach den vielen Jahren der Umgestaltung die Früchte zu ernten. Das ist der Fokus und wir können schon einiges vorweisen. So haben wir 2023 ein sehr gutes Ebitda (Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen) von mehr als einer Milliarde Euro erzielt. Das hatten wir noch nie und lag um ein Viertel über dem bisherigen Rekordjahr 2019 vor der Corona-Pandemie.
Wie sieht es außerhalb der Wirtschaftszahlen aus?
Da liegen wir auch sehr gut, etwa bei den ESG-Zielen. 80 Prozent der Hotels haben Plastik verbannt. Wir verfolgen Lebensmittelabfälle genau, was ein großes Thema ist, und wir verringern den CO2-Fußabdruck. CEO Sébastien Bazin sagte, dass wir den Wasserverbrauch um mindestens 25 Prozent reduzieren müssen. Für einige Themen ist ein enormer Druck nötig, da sie sich nicht von allein erledigen. Und manches kostet erst einmal viel Geld, wie die Kohlenstoffreduktion, wo wir den nötigen Rahmen und das Reporting schaffen. Aber wir müssen die Dinge jetzt beginnen, um in drei oder vier Jahren die richtigen Ergebnisse zu haben.
Was ist das Hauptthema für Accor?
Die Geopolitik ist sehr wichtig, aber wir haben keinen Einfluss darauf. Wir sind insofern vorbereitet, als wir in vielen unterschiedlichen Regionen vertreten sind, sodass wir negative Entwicklungen ausgleichen können, da es immer irgendwo gut läuft. Wie zum Beispiel bei der Inflation in Europa, als die Entwicklung im Mittleren Osten und Asien sehr gut war. Großes Thema ist die Technologie. Wir wollen, dass die Hotellerie auch im Zeitalter der künstlichen Intelligenz ein menschliches Business bleibt.
Wir sind kein Technologieunternehmen wie Google oder Microsoft, sondern Dienstleister und verfolgen die Entwicklung aufmerksam, sodass wir bei den richtigen Themen einhaken können. Um die Vorteile der künstlichen Intelligenz zu nutzen, muss vor allem die Datenbasis stimmen. Nur mit qualifizierten Daten kommen die Vorteile zur Entfaltung, sodass die KI zum Beispiel maßgeschneiderte Reisen für die Gäste zusammenstellen kann. Das funktioniert heutzutage noch nicht, wird aber kommen.
Was bedeutet das für Accor?
KI wird Unternehmen fundamental verändern. Einige Jobs werden verschwinden oder sich völlig verändern, andere werden neu entstehen. Damit ist gemeint: Du machst die eine Sache zwar nicht mehr, dafür aber eine andere. Jobs werden sich in Richtung anspruchsvollere Arbeiten oder Tätigkeiten mit emotionalem Bezug verändern. Das können die Maschinen nicht. So bleibt mehr Zeit übrig, um sich um die Menschen zu kümmern, zum Beispiel mit Concierge-Services. Wenn man an der Rezeption Probleme mit den Kindern besprechen will, kann das eine Maschine nicht. Ein Vorteil ist auch, dass wir mithilfe von KI unsere Gäste immer besser verstehen und sie mit personalisiertem Marketing und virtuellen Präsentationen ansprechen können. Aus zehn Bildern kann man leicht kleine Filme machen. Wenn das alles vorliegt, ist es kein zusätzlicher Aufwand.
Wir wollen, dass die Hotellerie auch im Zeitalter der künstlichen Intelligenz ein menschliches Business bleibt.
Jean-Jacques Morin ist stellvertretender CEO der Accor Gruppe
Das klingt danach, dass die Transformation des Unternehmens eine neue Stufe erreicht und nicht abgeschlossen ist. Auf wie viele Jobs hat das Auswirkungen?
Das ist schwierig zu sagen. Wenn man mit Ökonomen spricht, heißt es, dass in der Gesellschaft etwa 30 Prozent der Bevölkerung betroffen sind. Möglicherweise ist es derselbe Anteil in unserer Industrie. Was wir hier besprechen, betrifft nicht das nächste oder übernächste Jahr, das wird eine Zeitlang dauern. Wir wollen vorbereitet sein. Als in den 1980er-Jahren der PC und der Macintosh kamen, haben viele gedacht, sie bleiben ihrer alten IMB 360 (Großrechner aus den 1960er-Jahren) treu. Heutzutage arbeitet jeder mit dem Smartphone. Aber der menschliche Service wird nur schwer zu ersetzen sein.
Viele Hotelgesellschaften expandieren stärker denn je. Wird das gutgehen oder besteht ein Risiko der Überversorgung?
Ich glaube nicht an ein Überangebot. Das Angebot ist insgesamt sehr ausbalanciert, hängt aber auch von den Ländern ab. In Europa ist das Angebot gar nicht so groß und ich weiß nicht, ob in den USA im vergangenen Jahr überhaupt ein Luxushotel eröffnet wurde. Im Mittleren Osten gibt es dagegen viel mehr Bewegung. Ich glaube nicht, dass wir die Wirtschaftskrisen schon hinter uns haben. Es braucht noch ein bisschen Zeit bis zur Normalisierung. Die Finanzierung von Projekten ist heutzutage teuer und immer noch nicht einfach. So bleibt die Entwicklung in diesem und im nächsten Jahr noch schwierig. Wir haben noch nicht die Öffnungszahlen von vor der Corona-Pandemie erreicht. Aber es geht aufwärts.
Welche Märkte sind für Accor besonders interessant?
Wir dürfen nie vergessen, woher wir kommen. Unser Kerngeschäft ist in Europa mit einem Umsatzanteil von ungefähr 60 Prozent. Frankreich liegt etwa bei 20 Prozent und Großbritannien sowie Deutschland bei knapp unter zehn Prozent. Das wird sich in Zukunft allerdings verändern. Vor sieben Jahren lag der Anteil von Europa noch bei 80 Prozent. Das Geld ist im Mittleren Osten und in Singapur. 50 Prozent unserer Pipeline sind inzwischen in Middle East und Asien. Nicht nur Saudi-Arabien unternimmt erhebliche Anstrengungen, um den Tourismusanteil an der Wirtschaft zu steigern. Dubai und Saudi-Arabien sind für uns Epizentren und haben jeweils einen Anteil von etwa 30 Prozent an unserem Middle East-Geschäft. Unsere Hotels am Roten Meer laufen trotz ihrer Lage nahe am Krisengebiet überraschend gut.
Wir dürfen nie vergessen, woher wir kommen. Unser Kerngeschäft ist in Europa mit einem Umsatzanteil von ungefähr 60 Prozent.
Jean-Jacques Morin ist stellvertretender CEO der Accor Gruppe
Vor rund einem Jahr haben Sie angekündigt, dass Accor wieder einen größeren Fokus auf das Segment Premium, Midscale & Economy (PME) legen wird. Sind Sie zufrieden mit dem Fortschritt?
Die Division steht für rund 65 Prozent des Ebitda der Gruppe. Die Performance von PME ist sehr gut und trägt stark zur Profitabilität bei, aber das Wachstumspotenzial für Lifestyle ist deutlich größer. Nun sind wir dabei, die Marken ibis, Novotel und Pullman zu verjüngen. Dabei geht es um einen Mix aus Business und Leisure, um Gastronomie, aber auch um mehr Nachhaltigkeit. Wir wollen etwas mehr Lifestyle in diese Marken bringen.
Wir wollen jetzt die Marken Ibis, Novotel und Pullman verjüngen. Dabei geht es um einen Mix aus Business und Leisure, um Gastronomie, aber auch um mehr Nachhaltigkeit. Wir wollen etwas mehr Lifestyle in diese Marken bringen.
Jean-Jacques Morin ist stellvertretender CEO der Accor Gruppe
Wer ist Jean-Jacques Morin?
Jean-Jacques Morin ist stellvertretender CEO der Accor Gruppe, CFO der Gruppe und CEO der Division Premium, Midscale & Economy. Er ist Absolvent der Nationalen Hochschule für Luft- und Raumfahrt, hat einen MBA der Thunderbird School of Global Management (Arizona State University) und ist Mitglied des französischen Instituts für Wirtschaftsprüfer, dem Ordre des Experts Comptables.
Morin begann seine Karriere bei Deloitte, wo er fünf Jahre lang in der Wirtschaftsprüfung und Beratung tätig war, zunächst in Paris und dann in Montreal. Anschließend war er 13 Jahre lang international im Halbleitersektor tätig, unter anderem bei Motorola, ON Semi in Arizona und zuletzt bei der Communicant AG, einem Start-up-Unternehmen in Berlin. Im Jahr 2005 kam er zu Alstom. 2015 trat er als CFO in das Executive Committee von Accor ein und wurde später zum stellvertretenden CEO mit Verantwortung für Finanzen, Strategie, IT, Recht, Beschaffung und Kommunikation ernannt. Im Januar 2023 übernahm er zusätzlich zu seinen derzeitigen Aufgaben auch die Leitung der Division Premium, Midscale & Economy der Gruppe als Division CEO.
Über Accor
Ende Dezember 2022 verfügte die Gruppe über ein Hotelportfolio von 802 269 Zimmern (5445 Hotels) und eine Pipeline von 216 000 Zimmern (1247 Hotels). Accor verfügt über mehr als 40 Hotelmarken sowie 10.000 Gastronomiebetriebe in 110 Ländern. Für das erste Quartal 2023 meldete die Accor-Gruppe einen Umsatz von 1,139 Mrd. Euro, was einem Anstieg von 54 Prozent auf vergleichbarer Basis gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht.
Bildlegende Hauptfoto: Jean-Jacques Morin ist stellvertretender CEO der Accor Gruppe.