Als Cäsar Ritz am 23. Februar 1850 in Niederwald im Wallis das Licht der Welt erblickte, ahnte noch niemand, dass er einmal als „König der Hoteliers“ bezeichnet werden würde. Der Hotel-Historiker Andreas Augustin enthüllt in der neuen Hotel Inside-Serie das wahre Leben des gebürtigen Walliser Hotelpioniers. Im dritten und letzten Teil der Serie geht es um die Frage: Was ist von César Ritz geblieben?
Dem oberflächlichen Leser so mancher Ritz-Biografie wird der Eindruck präsentiert, César Ritz hätte nahezu alles, was heute in der Hotelindustrie relevant ist, sozusagen eigenhändig erfunden. Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten mit dem Phänomen Ritz. Und bin zu dem Schluss gekommen, dass Ritz ein hochbegabter Opportunist war. Achtung: Das Wort leidet unter schlechtem Ruf. Tatsächlich stammt es von Opportunität, Opportunity, also Gelegenheit. Ein Mensch, der geschickt eine sich bietende Chance ergreift.
Im ersten Teil der Serie habe ich seine Herkunft und die wirtschaftlichen Hintergründe seiner Jugend sowie seinen Aufstieg zum international geschätzten Hotelier geschildert. (Zum Artikel)
Im zweiten Teil meiner Hotel Inside-Serie über César Ritz habe ich Ihnen von seinem Waterloo nach fast zehn Jahren als Generaldirektor des Hotel Savoy in London erzählt. (Zum Artikel)
In diesem dritten und vorerst letzten Teil der Serie über Ritz fasse ich zusammen, was von César Ritz geblieben ist – und was wir daraus heute gemacht haben, beziehungsweise machen könnten.
Sehen Sie, in den 1870er Jahren gab es noch keine Hotelketten. Die Hotellerie war noch nicht systematisiert. Die Managementstruktur, wie wir sie heute kennen, also das Organigramm des Grand Hotels, wurde gerade erst entworfen. In dieser Zeit, mit 24 Jahren, war Ritz Kellner, Oberkellner und Assistent gewesen — seit bald zehn Jahren im Beruf und leitete sein erstes Hotel, das Hotel National in Baden-Baden. Er kämpfte persönlich an allen Fronten, machte es sich zur Aufgabe, in den verschiedensten Situationen dem Gast alle Wünsche zu erfüllen. Er improvisierte. Er war talentiert, er lernte aus der Beobachtung. Er muss ein tiefes Bedürfnis gehabt haben, zu gefallen und zu imponieren. Zu seinem serviceorientierten Berufsethos kamen Spleens wie 50 Maßanzüge, entsprechend viele Schuhe und Accessoires.
Es gab damals keine Hotelfachschulen. Die Ausbildung war dem Lehrherrn überlassen, dem man auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Internationale Standards gab es nicht. Es ist auffallend, dass sich Ritz durch die verschiedensten Positionen bewegte und sich somit zum Generalisten machte. Dabei erkennt man einen klaren Zug zum Gast, mit dem er in all seinen beruflichen Situationen stets konfrontiert war.
Ritz kopierte seine internationalen Reisenden. Er lernte schnell, übte den Auftritt des Mannes von Welt, gepaart blieb alles stets mit einer angeborenen Bauernschläue des „kräftigen, klugen und lebhaften Menschenschlags“ des Niederwalders (Reiseführer Tschudi, 1879). Er brachte es zur Perfektion. Eine Wiener Zeitung schrieb über seinen Auftritt im Hotel National in Luzern, als er dort als Direktor arbeitete: „Würde sich uns Herr Cäsar Ritz nicht als solcher ausdrücklich vorstellen, man müsste diese feine und vornehme Erscheinung für einen der vornehmsten und distinguiertesten aristokratischen Gäste seines Hotels nehmen.“ César Ritz war 36 Jahre alt, als diese Zeilen erschienen.
In einen Bereich wagte er sich nicht: die Küche. Da kam ihm die Bekanntschaft mit einem jungen Koch namens Auguste Escoffier sehr gelegen. Der Südfranzose war eher scheu, sprach nur Französisch und suchte nicht unbedingt den Kontakt mit den Gästen. Dafür war er ein Meister am Herd. Ritz und Escoffier blieben Freunde und Partner fürs Leben.
Der Kunde war König, der Gast hatte immer recht, war die Prämisse. Kein Wunsch war ihm zu nieder, kein Gast zu minder. Seine „Touches“ wurden zum Accessoire der Gäste. Zimmerausstattung, Tapeten, Teppichböden und Bettwäsche wurden diskutiert. Die Restaurants mussten an die Straßenseite der Hotels, nicht mehr in verborgene Innenhöfe oder gar in den ersten Stock. Männerdomänen wurden aufgebrochen. Die Frauen ins Boot geholt. Ritz wusste, dass seine Gäste gesehen werden wollten. Das grelle Licht der neuen elektrischen Lampen (keine Rede von Dimmern, man war schon froh, wenn sie brannten) wurde durch rosa Lampenschirme gemildert, die Damen sahen aus wie Porzellanpüppchen, die Herren genossen den Anblick. Bei der Abreise ließ er livrierte Portiers den Damen duftende Rosen überreichen, dazu einige schmeichelnde Worte „mit einem persönlichen Gruß von unserem Direktor“ – eine devote Verbeugung. Ritz war ein raffinierter Selbstvermarkter, sein Motto hätte lauten können: „Tue Gutes und sprich darüber.“
Er hatte einen starken Zug zum Geld. Er begriff rasch, dass ein einmal gestricktes Konzept auf alle Hotels anzuwenden war. So kam es, dass er Management-Verträge mit mehreren Hotels gleichzeitig abschloss. Er praktizierte die Akquisition von neuen Hotels und die Formierung einer Hotelkette im Savoy in London. Das Direktorium konnte er überreden, das Claridge’s und das Grand Hotel in Rom zu übernehmen. Er eröffnete Rom mit Escoffier wie ein Feuerwerk. Wenn man genau nachrechnet, die erste europäische Hotelgruppe.
Nach seinem unrühmlichen Abgang aus dem Savoy in London (zum Bericht) eröffnete er in Paris sein erstes Hotel unter seinem Namen: das Ritz Paris. In London, unweit des für immer zum Intimfeind erklärten Savoy – in Pall Mall – das Carlton. Aus der Kombination dieser beiden Hotelnamen ergibt sich die heute bekannte Ritz-Carlton-Kette. Später entsteht auch in London ein Ritz Hotel — heute noch sind Ritz und Savoy erbitterte Konkurrenten, obwohl beide längst nicht mehr wissen, warum.
Wussten Sie, dass wir César Ritz diese teils gähnende Einsamkeit am Restauranttisch zu verdanken haben? Die langen table-d’hôte-Tische, an denen sich die Reisenden aller Welt zusammenfanden und einfach miteinander plauderten, wie wir seinerzeit an den Blechtischen der Karawansereien in Kathmandu, Ägypten oder sonstwo auf unseren 1-Pfund-pro-Nacht-Trips in den 1970er- und 1980er Jahren, wurden durch kleine Tische ersetzt. „Paare wollen ungestört essen,“ meinte Ritz und stellte schon im National in Luzern neben jeden Tisch einen eigenen Kellner. Diskret, versteht sich. Das ist uns geblieben. Einzeltische mit einsamen Gästen füllen die Frühstücksräume und Abendrestaurants der Businesshotels – niemand spricht miteinander – einig ist man, getrennt in die Screens der eigenen Smartphones versunken. Kopfhörer verhindern dank Noisecancellation, dass man mitbekommt, was rundum passiert. Müsste man nicht Nahrung zu sich nehmen, man wäre gar nicht da. Es erinnert an das Wiener Kaffeehaus, von dem die Kaffeehausliteraten schon vor 100 Jahren sagten, dass es der ideale Platz ist, um in Gesellschaft allein zu sein. Aber ich verliere mich…
Ritz war ein geborener Eventmanager, der perfekte Organisator, von der kleinsten Geburtstagsparty bis zur Ballnacht mit hunderten Gästen. Er war getrieben von dem Bedürfnis, seiner anspruchsvollen und teilweise grenzenlos vermögenden Kundschaft immer wieder neue Sensationen zu bieten. Die Kapelle, die zum Dinner aufspielte, reichte nicht mehr. Es musste das Orchester von Johann Strauss aus Wien sein. Tatsächlich entwickelten die Gäste auffallend mehr Appetit zu Wiener Walzer und Polka. Die Liste der Feste, die er ausrichtete, ist endlos; die Liste der Gäste legendär: Churchill, Marlborough, Manchester, Lady de Grey. Für den deutschen Industriellen Krupp, der darauf bestand, etwas für seine Gäste zu haben, was es bisher noch nicht gab, installierte Ritz einen bunt beleuchteten Brunnen, aus dem Champagner sprudelte. Für den südafrikanischen Gold- und Diamantenmagnaten Alfred Beit wurde für eine venezianische Nacht ein Innenhof geflutet – und echte Gondoliere ruderten die ganze Nacht Gäste um den Brunnen. Darum sind Eventmanager heute eigene Positionen.
César Ritz installierte ein geheimes Klingelzeichen, das die Ankunft eines hohen Gastes (heute: VIP) signalisierte. Da setzte sich der gesamte Führungsstab in Bewegung, ein sauberes Jacket wurde übergezogen, die Nelke ins Knopfloch gesteckt, und das Management-Team nahm in der Halle zur Begrüßung Aufstellung.
Ritz hatte unter der peinlichen Londoner Affäre persönlich sehr gelitten. Seine Gesundheit war angegriffen. Die glanzvollen Meilensteine, die er in der Folge noch zu setzen vermochte, sind aber bis heute Fixsterne in unserer Welt der Hotellerie geblieben. Die Standards, die er erfunden hatte, sprengten damals die Vorstellungskraft und Grenzen aller Gastronomen.
Eine Anekdote erzähle ich Ihnen noch zum Schluss. Ich mag sie. Louis-Alexandre Marnier-Lapostolle war Branntweinproduzent. Ein Mann mit kühnen Ideen. Zum Beispiel kombinierte er Cognac mit einem Likör aus einer seltenen Orangensorte aus der Karibik. Er nannte es Curaçao Marnier. César Ritz verkostete das Getränk im Savoy in London und riet seinem Freund zu einem neuen Namen. Da man in Paris für alles und jedes „petit“ sagte, meinte Ritz, der wie immer im Großen dachte: Nenne es doch „Grand“ Marnier. Wie wir wissen, hat das funktioniert.
Und noch ein Hinweis in Ritz’s Sache: Jene Hotels in Paris und London, jene Häuser, an denen César Ritz einen wichtigen Einfluss hatte, wie der Frankfurter Hof, könnten doch mit einer Gedenktafel auf den großen Hotelier verweisen. Oder?