Die Next Work Studie 2024 des deutschen Fraunhofer Instituts und der «Denkfabrik Zukunft Gastwelt» zeigt Lösungswege gegen den existenzbedrohenden Mitarbeitermangel auf. Fazit: Homeoffice, Coworking und Vier-Tage-Woche sind auf dem Vormarsch. Die hier publizierte Studie befasst sich zwar primär mit dem deutschen Hospitality- und Tourismusmarkt, hat aber auch für die Schweiz eine gewisse Bedeutung.
Der massive Fach- und Arbeitskräftemangel stellt die Gastgeber vor immer neue Herausforderungen und erzeugt dringenden Handlungsbedarf. Schon heute zeichnet sich ab, dass im Gastwelt-Ökosystem – bestehend aus den Wirtschaftszweigen Tourismus, Travel, Hospitality und Foodservice – bis zum Jahr 2030 zusätzlich bis zu 600 000 Beschäftige altersbedingt ausscheiden und damit fehlen werden, so das Ergebnis der neuen „Next-Work“-Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (Fraunhofer IAO) im Auftrag der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG). Die Untersuchung verdeutlicht, dass der Industriesektor vor einer tiefgreifenden Transformation steht: Nur durch neue Arbeitsmodelleund -orte, mehr Flexibilität sowie konsequente Digitalisierung und Automatisierung können die 250 000 Gastweltbetriebe in Deutschland ökonomisch bestehen und ausreichend Personal an sich binden, so das zentrale Fazit der Studie.
Die aus Tourismus-, Hospitality- und Foodservice-Industrie bestehende Gastwelt bildet mit 5,8 Mio. Erwerbstätigen (jeder achte Mitarbeiter) eine zentrale Säule des deutschen Arbeitsmarktes. Jedoch ist sie spätestens seit der Corona-Pandemie von einem immer härteren Fach- und Arbeitskräftemangel betroffen. Herausfordernde Arbeitsbedingungen, ein „schlechtes“ Image in der Öffentlichkeit sowie – im Vergleich zu anderen Dienstleistungsbranchen – geringere Löhne sorgen für eine gefährliche Negativspirale: So sind derzeit über 40 Prozent der offenen Stellen in der Hospitality unbesetzt. Hinzu kommen eine überdurchschnittliche Mitarbeiterfluktuationen (u.a. durch das Saisongeschäft) und die Tatsache, dass sich die Zahl der begonnenen Ausbildungen in den vergangenen Jahren fast halbiert hat.
Neue Arbeitszeitmodelle, mehr Homeoffice und Eigenverantwortung steigern Attraktivität
In ihrer gemeinsamen Studie „Next Work im Business-Ökosystem der 360° Gastwelt“ betonen Fraunhofer IAO und DZG die dringende Notwendigkeit einer Transformation der Arbeitswelt im Dienstleistungssektor und verdeutlichen dies am Beispiel der Gastwelt-Industrie. Im Mittelpunkt stehen dabei alternative Arbeitsmodelle, mit denen die inhaltliche, örtliche und zeitliche Flexibilität der Arbeit erhöht und damit die Attraktivität der Branche als Arbeitgeber spürbar gesteigert werden kann, z.B. durch noch flexiblere Arbeitszeiten, erweiterte Homeoffice-Angebote, mehr Coworking und Nutzung von Shared Offices, Workation sowie abwechslungsreichere Arbeitsinhalte in den Betrieben vor Ort.
Bezeichnenderweise sind mit den in der Gastwelt derzeit vorhandenen flexiblen Arbeitsmodellen aktuell „nur“ vier von zehn der Erwerbstätigen zufrieden (43 Prozent). „Der Hospitality-Sektor hat derzeit einen Homeoffice-Anteil von 2,4 Prozent, hier ist also noch Luft nach oben“, betont Dr. Marcel Klinge, Vorstandssprecher der Denkfabrik. Die Studie weist zudem mit 14,25 Millionen jährlichen Überstunden auf eine massive Schieflage mit potenziell gravierenden Auswirkungen auf Gesundheit, Wohlbefinden und Motivation hin. Die Wissenschaftler unterstreichen, dass neben mehr Flexibilisierung und Offenheit – z.B. bei der Vier-Tage-Woche –, konsequente Digitalisierung und Automatisierung zur Entlastung der Arbeitnehmenden und Erhöhung der betrieblichen Wertschöpfung einen entscheidenden Beitrag leisten könne und damit für die Branche eine zentrale „Hausaufgabe“ darstelle. „Roboter, die Geschirr abräumen, bei Events servieren und Kochtätigkeiten übernehmen, 24-Stunden-Automaten, die Minibars in Hotels ersetzen, und Künstliche Intelligenz, die Schichteinteilungen, Reservierungen und den Wareneinkauf übernimmt oder bei Buchungen im Reisebüro unterstützt, sind nur einige Beispiele, in welche Richtung es ganz sicher gehen wird“, so der ehemalige Bundestagsabgeordnete.
Gastgewerbe muss bei der Arbeitsgestaltung radikal umdenken
„Vor allem die vielen kleineren und mittleren Unternehmen des Gastgewerbes stehen vor einer entscheidenden Weichenstellung: Wollen sie weiterhin wirtschaftlich erfolgreich sein und für ein hohes Serviceversprechen stehen, dann ist in der Arbeitsgestaltung ein radikales Umdenken erforderlich“, betont Prof. Dr. Vanessa Borkmann, federführende Wissenschaftlerin und Initiatorin des Innovationsnetzwerks «Future Hotel» des Fraunhofer IAO anlässlich der Präsentation der Studie. „Um wieder mehr neue Talente für uns zu gewinnen und Mitarbeitende langfristig zu halten, müssen wir überkommene Arbeitsmodelle hinter uns lassen und ein Umfeld schaffen, das Mitarbeitende motiviert, Freiräume schafft und Eigenverantwortung fördert“, so Borkmann weiter.
Die vorliegende Studie zeige, wo man aktuell stehe, welche neuen Wege eingeschlagen werden müssten, und mache auch Mut. DZG-Sprecher Klinge: „Die Botschaft lautet, dass der unvermeidliche Wandel, in dem unsere Unternehmen sich bereits befinden, erfolgreich bewältigt werden kann und praxisnahe Lösungen vorhanden sind. Zudem ist es wichtig, dass die Bedürfnisse von Gästen und Mitarbeitenden künftig gleichwertig behandelt werden», betont Klinge.
NEXT WORK IM BUSINESS-ÖKOSYSTEM DER 360° GASTWELT (PDF)
Grafiken NextWork Studie 2024 (PDF)
Denkfabrik Zukunft Gastwelt
Die Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) ist der erste Thinktank der Tourismus-, Hospitality- und Food-service-Industrie (Gastwelt) in Deutschland. Die Organisation setzt sich für eine deutlich bessere politische Wahrnehmung und Sichtbarkeit in Berlin ein, kämpft für ein eigenes Bundesministerium und zeigt mit Studien, Umfragen und Kampagnen die Systemrelevanz der über 240 000 Gastwelt-Betriebe auf. Die 2021 gegründete DZG vernetzt dafür Politik, Verbände und hochkarätige Vertreter aller Gastwelt-Wertschöpfungssektoren (wie z.B. Radeberger Gruppe, Deutsche Bahn, Unilever Food, Motel One, Transgourmet, Bayern Tourismus, Metro, Center Parcs, Dorint, Bioland, Dussmann, NordCap, Centro Hotels, Best Reisen, Rational). Der interdisziplinäre Thinktank kümmert sich inhaltlich um strategische Zukunftsthemen – wie Mitarbeitergewinnung, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Ernährungswende – und entwickelt praxisnahe Maßnahmen zur effektiveren Krisen-Bewältigung. Die DZG-Mitgliedsunternehmen beschäftigen zusammen über 650 000 Mitarbeitende in allen Regionen Deutschlands. Finanziert und getragen wird der Thinktank von der Union der Wirtschaft e.V.
Präsident des Vereins: Gerhard Bruder
Vorstand des Vereins: Dr. Marcel Klinge, Alexander Aisenbrey, Marcus Fränkle
Bildlegende Hauptfoto: Studienautorin Prof. Dr. Vanessa Borkmann, Denkfabrik-Chef Dr. Marcel Klinge und Dr. Christoph Schneider von der International Work Group (IWG) stellten in Berlin die Next-Work-Untersuchung des Fraunhofer IAO vor.