So manchem Schweizer Fremdenverkehrsort könnte eine lang dauernde Friedenskonferenz als Finanzspritze sehr gelegen kommen. Früher rettete so eine in der neutralen Schweiz einberufene Konferenz die beiden berühmtesten Hotels von Zürich. Jetzt schlägt die aktuelle Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd die Schweiz als Austragungsort einer Russland-Ukraine-Friedenskonferenz vor, die sich in die Länge ziehen könnte. Der Historiker Andreas Augustin schreibt im folgenden Beitrag über Friedensgespräche in Schweizer Hotels…
Einige Locations bzw. Hotels wären prädestiniert, um eine Friedenskonferenz durchzuführen. Die Schweiz per se als Sitz hunderter diplomatischer Missionen, legendärer historischer Ort zahlreicher Friedenskonferenzen bis hin zur Staatengründung muss nicht extra vorgestellt werden. Legendär sind Orte wie Davos, Bern und natürlich Genf. Ganz vergessen: Zürich.
Blicken wir zurück. 1859 inszenierte Frankreichs Kaiser Napoleon III. mit einer gezielten Provokation durch Sizilien den zweiten italienischen Unabhängigkeitskrieg gegen Österreich. Die legendäre Schlacht bei Solferino gipfelte im provisorischen Frieden von Villafranka, der durch Verhandlungen zwischen Frankreich, Sardinien und Österreich in Zürich schlussendlich ratifiziert wurde. Mit dem „Frieden von Zürich“ wurde 1859 gewissermaßen der Grundstein für das moderne Italien gelegt. Am 10. November 1859 kamen im Rathaus am Limmatquai die Vertreter von Österreich, Frankreich und Sardinien zusammen, um dem vorangegangenen, blutigen Krieg ein definitives Ende zu setzen. Das Kaisertum Österreich willigte unter anderem in die Abtretung der Lombardei an Sardinien-Piemont ein.
Zürich war 1859 die einzige Stadt von Rang, die genau zwischen den beiden Kontrahenten Frankreich und Österreich lag und auch die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine groß angelegte Friedenskonferenz bot. Doch vor allem lag Zürich in der neutralen Schweiz, deren neu geschaffenes (1848 Gründung der Schweiz als Bundesstaat) republikanisches Terrain keinerlei monarchischen Einflüsse anderer europäischer Staaten zuließ. Die Schweiz war ideal, um die rivalisierenden Monarchien Frankreich und Österreich an einen Tisch zu bringen.
Und zur Hotellerie: So eine Konferenz ist keine Angelegenheit von einem Tag. Am 6. August kamen die französischen, österreichischen und sardischen Gesandten samt Entourage in Zürich an. Die Konferenz begann am 8. August, nachdem am Vortag eine Begrüßung durch die Zürcher Regierung stattgefunden hatte. Die Österreicher und Franzosen logierten im „Baur au Lac“, die Sarden im „Baur en Ville“ (heute Savoy Mandarin Oriental Zürich). Die Presse in Wien berichtete von Schildwachehäuschen vor den beiden Hotels, in denen Schweizer Jäger-Soldaten Wache hielten. Der Hotelier Johannes Baur hatte somit, ganz abgesehen von dem glänzenden Geschäft (die Verhandlungen dauerten vom 8. August bis zum 10. November) die Genugtuung, dass er sämtliche Konferenzteilnehmer als seine Gäste begrüßen konnte. Er wurde zum Herbergsvater des Friedens.
Nicht nur aus den Ländern der verhandelnden Mächte, sondern aus ganz Europa kamen Delegierte, Angehörige der Presse, Schaulustige und politische Hoffnungsträger wie „Plon-Plon“ Prinz Napoleon, der spätere Schwiegersohn des italienischen Königs Viktor Emanuel II., der sich im Baur en Ville einnistete. Die internationale Presse berichtete nahezu täglich vom Verlauf der Verhandlungen. Der Friede von Zürich fand Eingang in die Geschichtsbücher, wie der Westfälische Friede 1648 oder der Friede von Versaille 1919.
Als Austragungsort für die Konferenz war das Kasino von der Regierung angeboten worden. Die Herren zogen jedoch vor, ihre Besprechungen in privaten Salons der Hotels zu halten, wünschten aber, den feierlichen Schlussakt im Rathaus zu vollziehen. Der Einzige, der die privaten Salons betreten durfte, war Johannes Baur. Dies war denn auch der Grund, weshalb er von den politischen Berichterstattern mit Fragen aller Art, so auch über die Zukunft von Venedig, geradezu bestürmt wurde. Diplomatisch antwortete er: Von Venedig wisse er nichts, aber so viel sei sicher, dass sein Venedigli (so nannte er sein Privathaus), auf dem eine beträchtliche Hypothek lastete, nach Ablauf der Konferenz abbezahlt sei.
Drei Monate und hunderte Nächtigungen später stellte Johannes Baur Rechnungen von über 100 000 Franken an die drei Signatarmächte aus. Der Verlag Hoffmann und Campe gab als Erinnerung an die Verhandlungen das auf 43 Seiten in Versen abgefasste Drama „HOTEL BAUR — ein diplomatisches Heldenstück in vier gereimten Konferenzen“ heraus. Die Delegierten fuhren nach Hause, die Lombardei war frei, dem Staat Italien stand nicht mehr viel im Wege und Johannes Baur war saniert.
Für die Schweiz und – in diesem Fall – für die Stadt Zürich war die Reputation als perfekter Ort für Friedensverhandlungen geboren. Als Sanierungskonzept für die Hotellerie scheint sich eine Friedenskonferenz definitiv anzubieten…