Man muss den Optimismus schon bewundern. Diese Kampagnen, die Reisende ermuntern, das „andere 99 %“ eines Landes zu entdecken, abseits der üblichen Pfade, in charmanten Dörfern und versteckten Winkeln. Klingt wunderbar – und sieht auf dem Papier großartig aus. Nur: Dahinter steckt oft ein grundlegendes, fast bewusstes Missverständnis darüber, wer diese Reisenden überhaupt sind und welche Realitäten ihre Entscheidungen bestimmen. Die Erwartung, Touristen würden sich gleichmäßig verteilen, prallt hart auf strukturelle Gründe, warum sie sich an denselben Orten ballen.
Nehmen wir den US-amerikanischen Reisenden. Ein riesiger, zahlungskräftiger Markt, um den sich jede europäische Destination reißt. Man freut sich über ihre Dollars, blendet aber gerne aus, dass der durchschnittliche US-Angestellte nur 10 bis 14 Urlaubstage pro Jahr hat. In Nordeuropa sind es über 25 Tage.
Wenn man mehrere Tausend Dollar und eine ganze Urlaubswoche in einen Langstreckenflug investiert, verbringt man diese Zeit nicht in einem unbekannten Dorf, von dem man noch nie gehört hat. Man hat eine klare Mission: Kolosseum, Eiffelturm, Sagrada Família. Das hat nichts mit mangelnder Abenteuerlust zu tun, sondern ist eine knallharte Zeit-Nutzen-Kalkulation.

Dasselbe gilt für Erstbesucher aus Schwellenländern wie China oder Indien. Für viele ist es eine Reise, die sie nur einmal im Leben machen. Natürlich stehen die großen Sehenswürdigkeiten ganz oben auf der Liste. Ihnen vorzuwerfen, dass sie sich auf die berühmtesten 1 % des Landes konzentrieren, greift zu kurz. Die Ursache liegt nicht nur in der persönlichen Wahl, sondern in den Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen jener Märkte, um die man so wirbt.
Manchmal liegt das Problem nicht am Zielort – sondern an den Rahmenbedingungen der Reise.
Mark Fancourt